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Kalte Haut

Kalte Haut

Titel: Kalte Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Feige
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die Arme aus. »Mir scheint, jemand wollte ein Exempel statuieren.«

48
    Im Treppenhaus stellte Robert die Tüte mit Einkäufen aus dem Spätshop ab. Er zückte den Schlüsselbund, als sein Vermieter aus der Wohnung gegenüber hervorlinste.
    »Hallo, Robert.« Kornfeld trug wie am Nachmittag Jogginghose und Unterhemd. »Noch einkoofen jewesen?«
    Unschwer zu sehen. »Ja.«
    Der Nachbar beäugte prüfend den Tetrapak Orangensaft, die Flasche Mineralwasser, ein Roggenbrot, Butter, Erdbeermarmelade, Klopapier und Waschpulver.
    »Schön«, stellte er fest. Aus seiner Wohnung dröhnte das TV-Gerät. Ein Nachrichtensprecher kommentierte die jüngsten Ereignisse in der Stadt. Mord an Senatorensohn. Eine politische Tat? Polizei tappt im Dunkeln.
    »Bevor ich es vergesse«, sagte Robert. »Ich habe einen Wasserschaden in meiner Wohnung.«
    Kornfelds Gesichtszüge entgleisten. Plötzlich schien er es eilig zu haben, zurück in seine Wohnung zu gelangen. »Wasserschaden? Herrjott, wat haste denn jemacht?«
    »Nicht ich. Nicht heute. Sondern in der Wohnung über mir. Während meiner Abwesenheit.«
    »Ach, det! Die Sache bei der Blum!« Der Vermieter grinste sichtlich entspannt. Offenbar war die Angelegenheit damit für ihn erledigt.
    »Das Wasser ist bis in mein Badezimmer gelaufen. Die Decke ist ganz schwarz vor Schimmel.«
    »Da soll sich die Versicherung der Blum drum kümmern. Ick sach ihr Bescheid.«
    Robert dankte ihm und schleppte die Einkäufe in seine Wohnung. Noch einmal warf er einen Blick ins Badezimmer. Wenn er das Licht ausgeschaltet ließ, war der Schaden kaum zu erkennen. Er drehte den Wasserhahn der Badewanne auf. Während das Wasser plätschernd einlief, räumte er die Tüten aus, danach raffte er im Schlafzimmer aus dem Kleiderschrank, der vier Jahre lang nicht geöffnet worden war, einige seiner müffelnden Hosen und Hemden und stopfte sie in die Waschmaschine.
    Im Wohnzimmer legte er eine CD in die Stereoanlage. Falstaff ossia Le tre burle . Antonio Salieris Komposition war das erklärte Lieblingsstück seiner Mutter gewesen. Während der erste Akt gegen den Lärm des Fernsehers aus der Nachbarwohnung ankämpfte, wurde Robert bewusst, dass er es versäumt hatte, eine Karte für die Deutsche Oper zu kaufen.
    Verstimmt öffnete er den Tetrapak Orangensaft. Mit der Ermittlungsakte, die ihm die Kommissarin zum Studium überlassen hatte, setzte er sich aufs Sofa. Ein fester Gegenstand presste sich in seine Pobacke – ein flacher, silberner Schlüsselanhänger. Der musste Hagen am Mittag aus der Hosentasche gerutscht sein. Zum Glück ohne Schlüssel.
    Robert ließ das kleine Schmuckstück in seinen Fingern kreisen. Auf der Vorderseite, oder der Rückseite, das liegt im Auge des Betrachters , war ein Datum eingraviert: 12. November. Das war nicht Hagens Geburtstag. Sondern? Erneut meldete sich Roberts schlechtes Gewissen. Was hatte Hagen ihm am Mittag erzählen wollen? Er würde seinen Freund morgen anrufen und sich mit ihm verabreden, um das Gespräch fortzusetzen.
    Draußen rumpelte die Straßenbahn vorbei, drinnen näherte sich Salieris Drama mit Klarinette, Violoncello und Violine dem ersten Höhepunkt. Robert verstand inzwischen, was seine Mutter an den beiden Akten so fasziniert hatte. Die Oper stellte die bemerkenswerte künstlerische Raffinesse des Komponisten unter Beweis. Sie war, mit einem Wort, genial.
    Robert steckte den Anhänger in die Hosentasche, überzeugte sich davon, dass das Badewasser noch eine Weile brauchte, und begann mit dem Studium der Ermittlungsakte. Die Berichte waren wegen der Kürze der Zeit nicht ausführlich, gingen aber auf die E-Mail ein, die zu einem neuseeländischen Freemail-Service zurückverfolgt worden war, der anonyme Postfächer anbot. Das Video hatte auf einem russischen Filesharing-Server gelegen.
    Einige Bilder aus dem Film waren beigeheftet, aber diese betrachtete Robert nicht. Er hatte das Video bereits am Nachmittag im Fernsehen gesehen, das reichte ihm. Stattdessen las er die Schilderungen der kurzen Suche nach dem entführten Sohn, die endete, noch ehe sie richtig begonnen hatte. Es handelt sich um keine Entführung im klassischen Sinne. Nur eine Stunde nach Auftauchen des Videos war die grässlich zugerichtete Leiche bereits gefunden worden. Die Hände und Füße zerschmettert, der Oberleib gehäutet. Die Parallele ist … erstaunlich.
    Er fand ein Befragungsprotokoll der Journalistin, die zu dem alten Gebäude in Friedrichshain geführt worden war und

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