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Kalte Haut

Kalte Haut

Titel: Kalte Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Feige
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ihren Fehler.

66
    Sera nahm den neuen Gast ins Visier. »Wer soll das sein?«
    »Gefällt er dir?«, entgegnete ihre Mutter freudestrahlend.
    »Würdest du mir bitte sagen, wer das ist?«
    »Er ist nett.«
    »Und er ist dick!«
    Unbemerkt hatte sich Baba vom Bett erhoben. »Trotzdem kann er nett sein. Und er hat es weit gebracht.«
    Sera wandte sich ihrem Vater zu. »Ist das Ilhami?«
    »Also hast du ihn doch erkannt!«
    Nein, ich habe es nur befürchtet. Sie traute Baba vieles zu. »Aber du hast ihn nicht extra aus der Türkei einfliegen lassen, oder?«
    »Er verbringt einige Tage in Berlin«, erklärte Annecim. »Als wir davon erfuhren, haben wir ihn eingeladen.«
    »Wir?« Sera musste lachen. »Oder Baba?«
    »Sprich doch erst einmal mit ihm«, maulte ihr Vater.
    Schon schob Annecim ihre Tochter ins Wohnzimmer. Inzwischen hatte Ilhami die Verwandtschaft begrüßt. Überrascht stand er vor Sera. »Seray?«
    »Ja, das ist meine hübsche Seray«, frohlockte ihre Mutter. »Du kennst sie noch, oder?«
    »Es ist lange her.«
    »Ja, fast zwanzig Jahre«, grummelte Sera.
    »Wie geht es dir?«
    »Ihr geht es gut«, versicherte Annecim. »Sie ist jetzt Polizistin.«
    »Polizistin? Wow …«
    »Und du, du bist erfolgreicher Ingenieur. Erzähl ihr doch von dir.«
    In Ilhamis Miene spiegelte sich Irritation. Die Gespräche im Wohnzimmer waren nach und nach verklungen. Er schlackerte verlegen mit den Armen. Auf einmal wirkte er wie früher in der Schule, als ihn der Lehrer vor versammelter Klasse zu einer Rechenaufgabe an die Tafel gerufen hatte.
    Sera fühlte mit ihm. Selbst Gesing hörte auf, sich schmatzend über das Lokum herzumachen. Stattdessen starrte er seine Kollegin an, der das Blut in den Kopf stieg.
    »Entschuldigt!« Sera machte auf dem Absatz kehrt.
    Sie fand sich im Badezimmer wieder. Im Wohnzimmer hatte das Palaver wieder eingesetzt. Die Wohnung war erfüllt vom lauten Durcheinander unterschiedlichster Geschichten und Anekdoten. Und seit heute war der Familienfundus um eine Anekdote reicher.
    Was um alles in der Welt hat Baba sich dabei gedacht?
    Sera tröpfelte kaltes Wasser auf ihre Unterarme, aber selbst das half kaum gegen die Hitze, die auf ihren Wangen brannte. Das arrangierte Treffen war allein schon Grund genug, sauer zu sein. Aber dass ihr Vater sie vor versammelter Verwandtschaft – und meinem Kollegen!  – blamiert hatte …
    Es klopfte. Sera trocknete sich die Hände und öffnete die Tür. Vor ihr stand Onkel Mergim. Der hat mir gerade noch gefehlt! Aber sie wich seinem eisigen Blick nicht aus.
    »Bist du gekommen, um mich zu verhaften?« Bei dem Lärm, der aus dem Wohnzimmer drang, war er kaum zu verstehen.
    »Falls du es vergessen hast: Baba hat heute Geburtstag.«
    »Und was hat dann dein Kollege hier zu suchen? Soll er mich jetzt überwachen?«
    »Es war nicht meine Idee, ihn hereinzubitten.«
    »Natürlich, Seray, aber was für eine Tochter wärst du, wenn du die Gastfreundschaft deiner Mutter vergessen hättest.«
    »Einem Verbrecher würde Annecim jedenfalls keinen Unterschlupf gewähren.«
    Der schwere Leib ihres Onkels blähte sich auf. »Was willst du damit andeuten?«
    »Überleg mal!«
    »Seray, genug!« Baba trat zornig in den Flur. »Es ist das eine, dass du keinen Sinn für Familie zeigst, wie ich es mir von meinen Töchtern wünsche, aber es ist etwas anderes, wenn du die Familie beleidigst. Das werde ich nicht …«
    Im Durchgang tauchte Deniz mit ihrem Baby auf. Seras Schwester schob sich an dem Onkel vorbei ins Badezimmer und legte Sera das Kind in die Arme. »Hier, halt die Kleine bitte kurz.«
    Das Baby strampelte vergnügt. Sein Fuß traf Seras Brust.
    Deniz blieb wie angewurzelt stehen. »Seray, was ist mit dir?«

67
    Die Frage überraschte Robert. Bist du deshalb Fallanalytiker geworden? Er griff nach seinem Wein. »Weshalb?«
    »Weil es in Berlin mehr Psychologen als Patienten gibt?«, fragte Nadine.
    »Nein, ich mache den Job, weil ich …« Seine Finger, die das Glas umfassten, verkrampften sich. Er löste die Hand davon, bevor das Glas unter dem Druck zerbrach. »Ich versuche zu verstehen.«
    »Die Verbrecher? Die Mörder?«
    Der Schatten, der sich auf sein Gesicht legte, entging ihr nicht. Besorgt flackerten ihre großen Augen. Robert griff wieder nach dem Weinglas, führte es an den Mund und trank einen Schluck. In seinem Kopf rauschte es.
    Nadines Stimme war so leise, dass er sie kaum verstand. »Das ist nicht einfach irgendein Beruf für dich, oder?«
    Robert

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