Kalte Haut
ertappte sich dabei, wie er an Tania dachte und daran, dass es sich nicht gehörte, zwei Frauen miteinander zu vergleichen. Aber nachdem er Tania heute wiedergetroffen hatte, konnte er nichts dagegen tun. Und das Ergebnis fiel eindeutig aus: Mit Nadine war alles irgendwie anders – besser.
Eine Stimme in ihm lachte. Ihr kennt euch doch gerade erst einen Tag. Aber genau das war es, was Robert faszinierte. Obwohl er und Nadine sich erst vor einem Tag begegnet waren, wusste sie bereits mehr über ihn, als Tania in fast drei Jahren herausgefunden hatte. Das ist nicht einfach irgendein Beruf für dich, oder? Er war froh, dass er das Abendessen nicht abgesagt hatte.
»Und wie hat es dir in Amerika gefallen?« Sie wechselte das Thema, und in ihren Augen erblickte er wieder dieses humorvolle, Behaglichkeit verbreitende Leuchten.
»Das Land ist phänomenal. Viele Leute sprechen von unendlichen Weiten, wenn sie über die USA reden, aber ich glaube, die wenigsten von ihnen haben eine Vorstellung davon, was das wirklich bedeutet. Wie auch, wenn man, ich sage mal, nur die Mark Brandenburg als Beispiel für unendliche Weite kennt.«
»Und unendliche Eintönigkeit!«, warf Nadine ein.
»Ja, genau. Aber eintönig ist Amerika ganz sicher nicht. Wenn du von der Westküste, zum Beispiel von San Francisco aus, mit dem Auto ins Landesinnere fährst, dann bist du schon nach kürzester Zeit inmitten schneebedeckter Berge. Wenig später durchstreifst du die heißeste Wüste der USA, das Death Valley, und nur wenige Meilen später durchkreuzt du schon wieder Berge, Steppen … Der Begriff unendliche Weiten ist, wenn überhaupt, dann nur geschaffen für Amerika.«
»Das Land hat dir gefallen?«
»Das Land ja.«
»Die Leute nicht?«
»Sie sind freundlich, keine Frage«, versicherte Robert. »Beinahe zu freundlich .«
Der Kellner servierte ihnen das Essen. Als er die Gnocchi vor Nadine absetzte, schwappte die Sauce über den Tellerrand auf die Tischdecke.
Nadine blickte dem Ober hinterher, der ohne eine Entschuldigung davonschlurfte. »Die Berliner könnten sich in Sachen Freundlichkeit aber eine Scheibe abschneiden.«
Robert lächelte. »Ich kann dir versichern: Die Freundlichkeit der Amis nervt auf Dauer. Ständig will dort jeder wissen, wie es einem geht. Im Supermarkt. Im Restaurant. Beim Arzt. Die Kollegen. Selbst Passanten auf der Straße erkundigen sich, wenn man sie nur nach dem Weg fragt: Hey, guys, how are you? Ich glaube, das sind die ersten Worte, die jedes Kind dort drüben lernt. Dummerweise wird ihnen nicht beigebracht, sich auch für die Antwort zu interessieren.«
»Natürlich ist es nur eine Floskel«, stimmte Nadine zu, »aber wenigstens erweckt sie den Anschein von Freundlichkeit und Höflichkeit.«
»Mag sein, aber da ist mir die Ruppigkeit, die bei den Berlinern von Herzen kommt, allemal lieber.«
»Bist du deswegen wieder zurück nach Deutschland gekommen?«
»Nein, ich war vier Jahre dort, habe vieles gelernt, erlebt …« Er dachte an das FBI, die abscheulichen Verbrechen, den Knochenmann. Ich versuche zu verstehen. »Es war der richtige Zeitpunkt für eine Heimkehr.«
»Verstehe«, sagte sie, und seltsamerweise hatte er das Gefühl, dass das Wort keine Floskel war. Auch das Schweigen, das sich jetzt zwischen ihnen ausbreitete, war nicht unangenehm, sondern passte zu dem Moment.
»Gehen wir noch ein bisschen spazieren?«, fragte Nadine, als sie aufgegessen hatten.
»Gerne.« Als Robert nach dem Kellner Ausschau hielt, erweckte ein Mann fünf Tische weiter seine Aufmerksamkeit. Zuerst hielt er es für einen Irrtum, doch als er die Rechnung beglich, fand sein Blick wieder den älteren Herrn.
»Wen guckst du an?«, fragte Nadine.
»Der Mann dort drüben …«
»Die Frau an seiner Seite ist ziemlich jung.«
»Wahrscheinlich seine Tochter.«
»Oh, natürlich.« Nadine errötete. »Wie dumm von mir. Meine Freundin sagt immer, ich …«
Während sie zum Ausgang des Restaurants gingen, vermischten sich Nadines Worte mit dem Gemurmel der anderen Gäste. Der Mann drüben am Tisch war der Chefredakteur vom Kurier . Wie war noch gleich sein Name gewesen? Egal! Denn zugleich bohrte sich ein anderer Gedanke in Roberts Schädel. Wie dumm von mir , hatte Nadine gesagt.
»Robert?«, fragte Nadine.
»Äh, tut mir leid«, sagte er. »Ich war in Gedanken.«
»Was ist denn?«
Habe Dummheiten gemacht! Das hatte Tania heute Mittag in der Redaktion erklärt, ohne es näher zu erläutern. Ist es möglich,
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