Kalte Haut
eigenen Therapeuten.«
»Beim Ballett kommen auf jede freie Stelle mindestens zwanzig Bewerber. Ein Engagement zu bekommen ist so wahrscheinlich wie … wie«, sie gluckste, »wie eine pünktliche S-Bahn. Im Moment jedenfalls. Dein Bruder kann von Glück reden, dass er einen Job als Musiker gefunden hat.«
»Ein bisschen Können gehört auch dazu.«
»Entschuldigung, natürlich, das wollte ich damit nicht bezweifeln.« Sie guckte nachdenklich. »Nur Können allein reicht leider nicht immer.« Ihre Miene hellte sich wieder auf. »Aber was jammere ich hier herum? Ich habe eine erste Anstellung, nur eine klitzekleine, aber ich verdiene damit Geld. Anderen geht es schlechter. Ich habe keinen Grund, mich zu beschweren.« Sie prostete ihm mit einem Glas Rotwein zu. »Und was ist mit dir? Bist du deshalb Profiler, ich meine, Fallanalytiker für die Polizei geworden?«
65
»Wer war das?« Wie aus dem Nichts tauchte Sackowitz an Tanias neuem Arbeitsplatz auf.
Kollege Karrenbacher war vor wenigen Minuten mit knurrendem Magen in Richtung Kantine verschwunden. Tania hatte darauf verzichtet, ihn zu begleiten. Der Hunger war ihr vergangen und offenbar jegliche Inspiration.
Seit geraumer Zeit brütete sie jetzt schon über der Einleitung für einen neuen Text über das S-Bahn-Desaster. Sie gelang ihr nur leidlich, weil die Verspannungen im Nacken zunahmen, der Kopf schmerzte und ihre Gedanken zudem ständig um das unverhoffte Aufeinandertreffen mit Robert kreisten. Sie spürte, wie sich zu dem Schädelpochen Wut gesellte.
»Und?« Sackowitz sah sie unentwegt an.
»Was denn?«, fauchte sie. »Willst du jetzt vielleicht auch noch Karrenbachers Computer in Beschlag nehmen?«
»Nein, ich wollte wissen, wer das vorhin war.«
»Das weißt du doch längst!«
»Okay, eins zu null für dich.«
»Hardy!« Tania ließ von der Tastatur ab und drehte sich auf ihrem Stuhl zu ihrem Kollegen um. »Soll das ein Wettbewerb werden?«
Sackowitz hob beschwichtigend die Hände. »Der Polizeipsychologe hat mit dir über den Fall Lahnstein gesprochen?«
»Frag nicht so scheinheilig. Auch darüber bist du inzwischen informiert. Deswegen bist du doch vorhin überhaupt in das Gespräch geplatzt.« Sie schnaubte wütend. »Von wegen S-Bahn-Skandal! Und was Wichtiges wissen!«
»Na ja, auf die Schnelle ist mir nichts Originelleres eingefallen«, gab Sackowitz kleinlaut zu.
»Glaubst du etwa, er hat nicht bemerkt, dass du scharf auf Informationen zu dem Mordfall warst?«
»Und?« Sackowitz wischte sich über die Stirn. Sein Haar stand ihm noch immer struppig und fettig vom Kopf ab. »Hat er dir denn etwas über den Stand der Ermittlungen verraten?«
»Na also, endlich kommst du zur Sache.« In Tania wuchs der Zorn. Allerdings war ihr nicht klar, auf wen sie so wütend war. Auf Sackowitz? Der fragte sie zwar geradezu unverfroren direkt aus, aber das war sein Job – sie hätte es an seiner Stelle nicht anders gemacht. Oder auf Robert, der ihr unterstellt hatte, in den Mord verwickelt zu sein? Genau das hat er nämlich getan! Oder dass er überhaupt aufgetaucht war, einfach so, urplötzlich? Wie ein Gespenst! Das eines Toten. Sie schauderte.
Kein Wunder, dass ihr Gespräch von unbehaglichem Schweigen und einer gereizten Stimmung gekennzeichnet gewesen war. Was tauchte er auch einfach so auf? Nach vier Jahren! Und unterstellte ihr noch dazu solch haarsträubende Dinge?
»Also, was ist?«, drängelte Sackowitz. »Hat er oder hat er nicht?«
»Die Polizei glaubt, etwas übersehen zu haben.«
»Übersehen? Und deshalb fragt sie dich?«
»Ich weiß es doch auch nicht. Aber … wenn ich ihn richtig verstanden habe, geht die Polizei inzwischen von nur einem Täter aus.«
»Nur ein Täter?« Sackowitz kratzte sich die Stirn, bis rote Striemen auf der Haut erschienen.
»Und offenbar befürchten sie, es könnte nicht bei der einen Entführung bleiben.«
»Was? Eine weitere Entführung?« Sackowitz’ Augen leuchteten. Journalistenfieber . »Hat er gesagt, warum sie davon ausgehen? Oder wer in Gefahr schwebt? Hat die andere Entführung auch etwas mit den umstrittenen Äußerungen des Senators zu tun?«
»Nein, dazu hat er nichts gesagt.«
Enttäuscht drehte Sackowitz sich um. Nach wenigen Metern blieb er stehen. »Du kennst diesen Dr. Babicz besser, oder?«
Tania klemmte sich hinter den PC. Ihr Kollege wartete geduldig. Als sie auch nach einer Minute nicht reagiert hatte, trollte er sich beleidigt von dannen.
Sie starrte auf den Monitor.
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