Kalte Herzen
aufblicken.
»Mrs. Victor Voss?« fragte er.
»Ja. Ist Ihnen der Name ein Begriff?«
Katzka lehnte sich zurück und atmete leise aus. »Ich weiß, daß er der Gründer von VMI International ist. Welcher Operation mußte sich seine Frau unterziehen?«
»Einer Herztransplantation. Es geht ihr jetzt viel besser.
Nachdem wir sie ein paar Tage mit Antibiotika behandelt haben, hat sich das Fieber gelegt.«
Katzka starrte auf den Brunnen, in dem das Wasser in der Sonne glitzerte wie eine goldene Kette. Unvermittelt stand er auf.
»Vielen Dank für Ihre Zeit, Dr. DiMatteo«, sagte er.
»Vielleicht melde ich mich noch einmal bei Ihnen.«
»Jederzeit«, wollte sie antworten, doch er hatte sich schon abgewandt und entfernte sich mit raschen Schritten. Innerhalb eines Wimpernschlags hatte er von völliger Bewegungslosigkeit bis zur Lichtgeschwindigkeit beschleunigt. Erstaunlich.
Ihr Pieper meldete sich erneut. Es war wieder die Verwaltung.
Sie schaltete ihn ab. Als sie wieder aufblickte, war Katzka nirgends zu sehen. Der wundersam verschwindende Polizist. Sie grübelte noch immer über seine Frage nach, als sie die Lobby des Krankenhauses betrat und ein Haustelefon abnahm.
Eine Sekretärin meldete sich.
»Hier ist Abby DiMatteo. Sie haben mich angepiept?«
»O ja. Zweierlei. Eine Helen Lewis von der New England Organ Bank hat versucht, Sie zu erreichen. Sie wollte wissen, ob sich Ihre Frage wegen der Transplantation geklärt hat. Sie haben sich nicht gemeldet, also hat sie wieder aufgelegt.«
»Sagen Sie ihr, die Sache hat sich erledigt, wenn sie noch einmal anruft. Und was war das andere?«
»Für Sie ist ein Einschreiben gekommen. Ich habe für Sie unterschrieben. Ich hoffe, das ist in Ordnung.«
»Ein Einschreiben?«
»Es ist vor wenigen Minuten zugestellt worden. Ich dachte, Sie wollten das vielleicht wissen.«
»Von wem?«
Man hörte Papiergeraschel. »Absender ist die Kanzlei Craig, Hawkes und Sussman.«
Abbys Magen sackte ins Bodenlose. »Ich bin sofort bei Ihnen«, sagte sie und legte auf. Wieder die Terrio-Klage. Die Mühlen der Justiz würden sie zweifelsohne zu Staub zermahlen.
Ihre Hände schwitzten, als sie in der Verwaltungsetage aus dem Fahrstuhl stieg. Dr. DiMatteo, gerühmt für ihre Ruhe im OP, ist ein Nervenbündel, dachte sie bitter.
Die Sekretärin war am Telefon. Als sie Abby sah, zeigte sie nur auf die Postfächer an der Wand. In Abbys Fach lag ein einzelner Umschlag. »Craig, Hawkes & Sussman« stand in der oberen linken Ecke. Sie riß ihn auf.
Zunächst begriff sie nicht, was sie da las. Dann konzentrierte sie sich auf den Namen des Klägers, und schließlich traf sie die Erkenntnis mit voller Wucht. Dieses Schreiben hatte nichts mit Karen Terrio zu tun. Es ging um einen Patienten namens Michael Freeman. Er war ein Alkoholiker, der an der unglücklichen Ruptur eines geschwollenen Blutgefäßes in der Speiseröhre in seinem Krankenzimmer verblutet war. Abby hatte Bereitschaft gehabt und erinnerte sich gut an dieses schockierende grausame Ende. Jetzt klagte Michael Freemans Frau, vertreten durch Craig, Hawkes und Sussman. Die einzige in dem Schriftsatz genannte Beklagte war Abby.
»Dr. DiMatteo? Alles in Ordnung?«
Abby merkte auf einmal, daß sie an den Postfächern lehnte und der Raum zu schwanken schien. Die Sekretärin musterte sie stirnrunzelnd.
»Mir geht’s … gut«, stammelte Abby. »Alles in Ordnung.«
Sie verließ das Zimmer und trat mit fliegenden Fahnen den Rückzug an, direkt ins Bereitschaftszimmer, wo sie sich einschloß, den Brief entfaltete und ihn immer wieder las.
Zwei Klagen in zwei Wochen. Vivian hatte recht. Abby würde den Rest ihres Lebens vor Gericht zubringen.
Sie wußte, daß sie ihren Anwalt anrufen sollte, aber sie brachte es nicht über sich. Sie blieb einfach auf dem Bett sitzen und starrte auf das Schreiben in ihrem Schoß. Sie dachte an all die Jahre und all die Arbeit, die es erfordert hatte, bis zu diesem Punkt in ihrer Karriere zu kommen. Sie dachte an die Abende, an denen sie über Büchern eingeschlafen war, während ihre Mitbewohnerinnen Verabredungen hatten; an die Wochenenden, in denen sie im Krankenhaus in Doppelschichten Katheter gelegt und Ampullen über Ampullen Blut gezapft hatte, um ihre Studiengebühren zu verdienen; an die Abendessen aus Erdnußbutter-Sandwiches und die Filme, Konzerte und Theaterstücke, die sie nicht gesehen hatte.
Und sie dachte an Pete, der der Grund für all das gewesen war.
Der Bruder, den sie retten
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