Kalte Herzen
werde verrückt, dachte sie. Der Streß zerbricht mich schließlich doch. Vielleicht bin ich als Ärztin ungeeignet.
Ihr Pieper meldete sich. Konnten sie sie denn nie in Ruhe lassen? Was würde sie dafür geben, einen ganzen Tag, eine ganze Woche lang nicht angepiept, angerufen oder sonstwie belästigt zu werden. Es war die Telefonzentrale des Krankenhauses.
Abby nahm den Hörer ab und wählte eine Null.
»Ein auswärtiger Anruf für Sie, Doktor«, sagte die Telefonistin. Es klickte mehrere Male, bis das Gespräch durchgestellt war. Dann fragte ein Frau: »Dr. Abby DiMatteo?«
»Am Apparat.«
»Hier ist Helen Lewis von der New England Organ Bank. Sie haben am Samstag eine Nachricht wegen eines Herzspenders hinterlassen. Wir hatten erwartet, daß jemand vom Bayside zurückrufen würde, aber das hat niemand getan. Also dachte ich, ich melde mich mal.«
»Tut mir leid. Ich hätte Sie anrufen sollen, aber hier ging in den letzten Tagen alles drunter und drüber. Das Ganze hat sich als Mißverständnis herausgestellt.«
»Nun, das erleichtert die Sache, da ich die Information ohnehin nicht finden konnte. Wenn Sie sonst noch Fragen haben, rufen Sie mich einfach –«
»Verzeihung«, unterbrach Abby sie. »Was haben Sie da gerade gesagt?«
»Ich konnte die Information nicht finden.«
»Warum nicht?«
»Die angefragten Daten sind nicht in unserem System.«
Volle zehn Sekunden sagte Abby gar nichts. Dann fragte sie langsam: »Sind Sie ganz sicher, daß Sie nichts haben?«
»Ich habe alle unsere Daten überprüft. Für das genannte Entnahmedatum haben wir keinerlei Unterlagen über einen Herzspender. Nirgendwo in Vermont.«
Zwölf
H ier steht er, sagte Colin Wettig und legte das aufgeklappte
Verzeichnis chirurgischer Fachärzte
auf den Tisch.
»Timothy Nicholls, B. A.,
University of Vermont, Dr. med., Tufts.
Residency, Massachusetts General,
Spezialgebiet: Thoraxchirurgie. Praktiziert am Wilcox Memorial, Burlington, Vermont.«
Er schob das Verzeichnis in die Mitte des Konferenztisches, damit jeder selbst nachlesen konnte. »Es gibt also tatsächlich einen Thoraxchirurgen namens Tim Nicholls, der in Burlington praktiziert. Es ist keine Erfindung von Archer.«
»Als ich am Samstag mit ihm gesprochen habe, hat Nicholls gesagt, er wäre bei der Entnahme dabeigewesen«, erklärte Archer.
»Und er sagte, daß sie im Wilcox Memorial stattgefunden hätte. Unglücklicherweise habe ich bisher niemanden auftreiben können, der mit ihm im OP war. Und jetzt kann ich nicht einmal mehr Nicholls selbst erreichen. Sein Büro erklärte mir, er hätte sich für längere Zeit beurlauben lassen. Ich weiß nicht, was da los ist, Jeremiah, aber ich wünschte, wir wären nicht darin verwickelt. Denn die Sache fängt an, ziemlich übel zu stinken.«
Jeremiah Parr rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl hin und her und sah die Anwältin Susan Casado an. Abby, die am anderen Ende des Tisches neben der Transplantationskoordinatorin Donna Toth saß, würdigte er keines Blickes. Vielleicht wollte er sie auch nicht sehen. Schließlich war Abby diejenige, die das Chaos allgemein bekanntgemacht hatte, diejenige, die dieses Treffen initiiert hatte.
»Was genau geht hier vor?« fragte Parr.
»Es sieht so aus, als hätte Victor Voss das offizielle System zur Registrierung von Organspenden umgangen, um das Spenderherz direkt seiner Frau zukommen zu lassen.«
»Ist das denn zu machen?«
»Mit genug Geld wahrscheinlich schon.«
»Und das Geld hat er«, warf Susan ein. »Ich habe im
Kiplinger’s
gerade die aktuelle Liste der fünfzig reichsten Amerikaner gesehen. Voss steht auf Platz vierzehn.«
»Vielleicht erklären Sie mir noch einmal, wie die Zuteilung von Spenderorganen normalerweise funktioniert«, bat Parr. »Ich begreife nämlich nicht, wie das passieren konnte.«
Archer sah die Transplantationskoordinatorin an. »Das regelt normalerweise Donna. Sie kann es uns bestimmt am besten erläutern.«
Donna Toth nickte. »Das System ist im Grunde ziemlich einfach«, erläuterte sie. »Es gibt sowohl eine nationale wie auch eine regionale Warteliste von Patienten, die Organe brauchen.
Das bundesweite System ist das United Network for Organ Sharing, kurz UNOS. Die regionale Liste wird von der New England Organ Bank, kurz NEOB, geführt. Beide Systeme listen die Patienten in der Reihenfolge ihrer Bedürftigkeit auf, unabhängig von Einkommen, Rasse oder Status. Es kommt allein darauf an, wie kritisch ihr Zustand ist.« Sie öffnete einen
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