Kalte Schulter, Heißes Herz
heiße, verräterische Flecken ab. Sie gestattete sich sogar eine heimliche Fantasie: Sie und Leon lagen nackt und eng miteinander verschlungen auf einem großen Bett. Seine tiefdunklen Augen verengten sich leicht, während er ihren Körper in Besitz nahm – mit seinen Händen, seinem Mund, seinem …
Eine Fantasie, mehr nicht. Weder real noch wahrscheinlich. Das redete Flavia sich unaufhörlich ein.
Sie schluckte ein paar Mal und konzentrierte sich wieder auf die weite englische Landschaft jenseits der Zugfenster. Man konnte bis zum Horizont blicken, auf riesige Weiden und Äcker, Felder und Hecken, kleine oder größere Häuser und Tiere. Endlich kehrte Flavia zu ihrer Großmutter und ihrem wirklichen Leben zurück. Nur das zählte.
Der Mann, der sie mit einem Blick in die Knie zwingen konnte, hatte nichts zu bedeuten. Gar nichts.
Ganz langsam machte sich eine tiefe Resignation in ihr breit.
4. KAPITEL
Leon saß im Chefsessel seines Londoner Büros und starrte Alistair Lassiter ausdruckslos an, der pausenlos auf ihn einredete. Das tat der Alte schon seit gut zwanzig Minuten, und Leon hatte bereits nach zehn Minuten nicht mehr richtig zugehört. Er wusste alles, was er wissen wollte. Dem Mann stand das Wasser bis zum Hals, das war mehr als offensichtlich. Die finanzielle Lage der Firma war Leon vorher schon bekannt gewesen, aber heute hatte Lassiter auch noch – eher unwissentlich – zugegeben, dass außer Leon kein weißer Ritter zur Rettung und gleichzeitig zur Sicherung seines extravaganten Lebensstils in den Startlöchern stand.
Es war nur noch an Leon, darüber zu entscheiden, ob er Lassiter in sein Unheil fallen ließ oder nicht.
Aber darüber zerbrach er sich nicht den Kopf. Er dachte überhaupt nicht an Alistair Lassiters unternehmerische Probleme, sondern nur an dessen Tochter. Um sie allein kreisten Leons Gedanken und Fantasien …
Nach ihrem letzten bissigen Schlagabtausch auf der Wohltätigkeitsveranstaltung, bei dem sich Flavia wieder von ihrer negativsten Seite gezeigt hatte, war er schon so weit gewesen, die Finger von ihr zu lassen. Aber dann hatte sie ihn auf diese spezielle Art angesehen … im abgedunkelten Innenraum der Limousine, wo sie allein und ungestört gewesen waren …
Mit ihren unglaublich intensiven Augen hatte sie ihn in ihren Bann gezogen und ihm ihre tiefsten Empfindungen offenbart. Damit war es um ihn geschehen gewesen. Er konnte nicht mehr anders, als zu tun, was er getan hatte!
Und es wurde ein Desaster. Nicht der Kuss – der war wundervoll gewesen. Aber das Timing hätte nicht schlechter sein können.
Er hatte sie überfallen und viel zu sehr gedrängt.
In ihrem Gesicht hatte er einen vorwurfsvollen Ausdruck erkannt, kurz bevor sie fluchtartig das Auto verließ. In Panik. Sein Annäherungsversuch war zu früh erfolgt. Viel zu früh! Flavia konnte mit ihren widersprüchlichen Gefühlen noch nicht umgehen, das hätte er eigentlich wissen müssen.
Inzwischen war klar, dass sie ihm gegenüber nur so unhöflich war, damit sie ihre eigene Leidenschaft im Zaum halten konnte. Beste Voraussetzungen also für eine heiße kleine Affäre! Es durfte nur nicht an seinen Verführungskünsten hapern. Leon ärgerte sich darüber, vorschnell gehandelt und Flavia in die Flucht geschlagen zu haben.
In einer einmalig günstigen Situation hatte er sich wie ein dummer Teenager und nicht wie ein erfahrener Mann aufgeführt. Wenigstens hatte der Kuss den unumstößlichen Beweis geliefert, dass es zwischen ihnen gewaltig knisterte. Flavia würde ihn ebenfalls nicht so bald vergessen können.
Entschlossenheit setzte seinen Selbstzweifeln ein Ende. Ab sofort musste er Gelegenheiten finden, in aller Form um Flavias Gunst zu werben und sie auf diesem Weg langsam, aber sicher zu überzeugen.
Sein Blick ruhte auf Lassiter, und seine Ungeduld mit dem alten Mann wuchs. Viel lieber würde Leon sich jetzt mit dessen Tochter beschäftigen und wiedergutmachen, was sein unbeholfener Kuss angerichtet hatte. Stattdessen musste er sich die endlose Litanei über angeblich unschlagbare Investitionsmöglichkeiten anhören.
Er runzelte leicht die Stirn. Wie Flavia wohl reagierte, würde er ihrem Vater einfach die Hilfe verweigern? Wollte sie dann noch etwas mit ihm zu tun haben? Es störte Leon, wie bereitwillig sie sich von ihrem Vater aushalten ließ. Aber so waren junge Frauen ihres Schlags eben groß geworden …
Was wohl aus ihr wurde, wenn ihr Vater unterging? Diese Frage spukte ihm schon
Weitere Kostenlose Bücher