Kalte Schulter, Heißes Herz
nützlich machen und gleichzeitig ihre Großmutter im Auge behalten konnte.
Manchmal kam Besuch vorbei, aber inzwischen musste Flavia jede Unterhaltung mit einem Gast ganz allein führen. Täglich telefonierte sie mit den Pflegeschwestern aus der Gemeinde, die sie mehrmals pro Woche ablösten, wenn Flavia einkaufen oder einen Termin wahrnehmen musste.
Ein vertrautes, eingespieltes Familienleben. Sehr sicher, sehr ruhig. War es Flavia vielleicht zu ruhig?
Eine beängstigende Vorstellung, die sie schnell wieder verdrängte. Natürlich war es kein gewöhnlicher Alltag einer Mittzwanzigerin, allein auf dem Land zu leben und die Pflege einer alten Frau zu übernehmen – sich ständig nur um Haushalt und Garten zu kümmern. Aber was sollte sie denn machen? Eine andere Lösung kam für sie eben nicht infrage.
Im Hinterkopf regte sich die Erinnerung an Leon und an das oberflächliche Leben in der Großstadt, aber Flavia schüttelte sie hastig ab. Dies war der einzige Ort, an dem sie leben wollte, denn hier lebte der einzige Mensch auf der Welt, den Flavia über alles liebte.
Ihr Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Ihre Großmutter nach Tagen der Abwesenheit wiederzusehen zeigte ihr erneut, wie viel schwächer die alte Dame geworden war. Kontinuierlich schwand der Lebenswillen aus ihrem erschöpften Körper, und ihr Geist versank immer tiefer in der Umnachtung.
Wie lange konnten Geist und Körper noch durchhalten? Der Arzt wollte sich nicht festlegen, aber Flavia wusste, dass es sich höchstens um einige Monate handeln konnte. Andererseits wollte sie keine Spekulationen über ein so trauriges Thema anstellen.
Momentan ging es ausschließlich darum, ihrer Großmutter den wohlverdienten Lebensabend zu erleichtern und versüßen. Dem musste alles andere untergeordnet werden!
Während Flavia Eier in eine Rührschüssel schlug und gleichzeitig auf dem alten Ofen die Suppe erwärmte, dachte sie darüber nach, wie sehr die Ereignisse in London sie berührt hatten. Sicherlich konnte sie sich mental dazu zwingen, über etwas anderes nachzudenken, aber das änderte nichts an der Wirkung, die Leon Maranz auf sie ausübte. Dieser ungewöhnliche, faszinierende Mann!
Aber ich bin ausgebrochen, überlegte sie. Gerade noch rechtzeitig.
Was wohl geschah, wenn ihr Vater sie das nächste Mal nach London beorderte und sie dort Leon über den Weg lief? Falls die beiden Geschäftspartner wurden, wäre ein Treffen nicht unwahrscheinlich. Das durfte Flavia auf keinen Fall riskieren!
Allein diese relativ harmlose Umarmung und der Kuss in der Limousine hatten bewiesen, wie verletzlich sie war. Und wenn Leon sich nur mit ihr amüsieren wollte, hatte sie dem wenig entgegenzusetzen. Wahrscheinlich würde sie sich nicht einmal gegen seine Annäherungsversuche zur Wehr setzen. Traurig, aber wahr.
Selbst jetzt schien es für sie ja unmöglich zu sein, sich Leon gänzlich aus dem Kopf zu schlagen. Er würde sie einfach überwältigen und ihre Ruhe hier auf dem Land nachhaltig stören. Und das durfte sie schon wegen ihrer Grandma nicht zulassen.
Widerstand baute sich in ihr auf. Es gab einen Weg, jeglichen Kontakt mit Leon zu verhindern und sich der Einmischung ihres Vaters zu entziehen. Flavia hatte schon früher darüber nachgedacht, die Idee jedoch verworfen. Harford gehörte ihr nicht, ebenso wenig wie alle beweglichen Güter darin. Trotzdem hatte sie eine Vollmacht von ihrer Großmutter und konnte daher frei über deren Besitz verfügen.
Bis jetzt hatte sie nur das Nötigste veräußert, um sicherzustellen, dass sie beide weiterhin hier wohnen konnten. Würde sie allerdings einige der wirklich wertvollen Antiquitäten verkaufen, könnte sie die Tausende von Pfund an Schulden abzahlen, die ihr Vater nach wie vor verlangte. Und dann müsste sie ihm nicht länger zur Verfügung stehen, um nach seinem Belieben als vermeintlich geliebtes Töchterchen vorgeführt zu werden. Nur fiel ihr dieser Schritt unendlich schwer.
Am nächsten Morgen, ehe sie ihre Meinung ändern konnte, rief sie das Auktionshaus in der nächsten Stadt an und vereinbarte mit dem Gutachter einen Termin am Nachmittag. Bei seinem Besuch bewertete er Möbel, Tafelsilber und noch ein Gemälde ungefähr in Höhe der Summe, die Flavia benötigte. Schweren Herzens gab sie die Stücke für die nächste Versteigerung frei. Obwohl das Schuldgefühl erdrückend war, fand Flavia, sie hatte die richtige Entscheidung getroffen.
Ihr Vater versuchte sie auch schon ständig zu erreichen,
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