Kalte Schulter, Heißes Herz
nicht sein, dass sie sich plötzlich wieder verhielt wie auf der Gala-Veranstaltung?
In ihrer Panik fummelte Flavia am Türgriff herum und sprang eine Sekunde später aus dem Wagen. Sie musste weg, das rieten ihr alle Instinkte. Einfach weg!
„Flavia!“
Hinter sich hörte sie noch ihren Namen, aber jetzt gab es kein Zurück mehr. Sie rannte auf das nächste Taxi zu, dessen leuchtendes Schild seine Verfügbarkeit signalisierte, und stieg ein, gerade als die Ampel grün wurde und der verwirrte Fahrer der Limousine wieder anfuhr.
„Regent’s Park“, meldete sie ihr Fahrziel an und ließ sich erschöpft gegen den Sitz fallen. Ihr Herz hämmerte wie wild, und die Hände zitterten vor Aufregung. In ihrem Kopf drehte sich alles, und Flavia schloss die Augen, um ihr Gedankenkarussell anzuhalten.
Lieber Himmel, was habe ich gemacht? beschwor sie sich. Wie konnte das nur geschehen? Zuerst ignoriert er mich und telefoniert in einer Tour, und gleich danach fallen wir beide übereinander her?
Anders konnte man kaum beschreiben, was sich gerade in der Limousine abgespielt hatte. Mittlerweile war Flavia immerhin so weit, sich einzugestehen, dass noch kein Mann diese Gefühle in ihr geweckt hatte. Aber sich so küssen … so anfassen zu lassen?
Sie sah an sich herunter. Ihre Brustspitzen zeichneten sich deutlich unter dem Kleid ab. Zeugen der verwegenen Begegnung, vor der Flavia Hals über Kopf geflüchtet war. Ihre Haut prickelte, als würde frischer Champagner darüber fließen, und sie vermisste Leons erotische Berührung.
Ich bin gerade noch rechtzeitig verschwunden, sagte sie sich. Gerade noch rechtzeitig!
Dieses Mantra wiederholte sie im Stillen während der gesamten Nacht und auch noch am nächsten Morgen. Permanent fragte sie sich, was Leon Maranz’ Geheimnis war. Weshalb gelang es ihm derart mühelos, ihren Willen zu brechen, als hätte dieser nie existiert?
Er hat mich überrumpelt, mutmaßte sie. Und er sieht unverschämt gut aus, da hat man als Frau kaum eine Chance. Außerdem könnte sein Jagdtrieb eine Rolle gespielt haben, da wäre ich sogar selbst schuld.
Schließlich hatte sie den ganzen Abend lang die Unnahbare gemimt und ihn ganz bewusst auf Abstand gehalten. Das ließ kein stolzer Mann lange auf sich sitzen! Und für Flavia selbst war es unendlich anstrengend gewesen, die eigenen Empfindungen mit Gewalt unter Kontrolle zu halten, sodass der Damm offenbar irgendwann unter dem Druck gebrochen war.
Und dann, aus heiterem Himmel, gerade als sie ihn mit beruflichen Telefonaten beschäftigt wusste, gab sie ihm das Zeichen zum Sturm. Er hatte ihre Schwäche sofort erkannt und entsprechend gehandelt. Schnell, gekonnt und widerstandslos war er zum Zug gekommen, dank ihrer mangelhaften Abwehr.
Die heißen Erinnerungen an diese wenigen, sündigen Minuten kehrten zurück und lenkten Flavia von ihrer Scham ab. Seine kräftige Hand, der warme Mund, die Zunge, die sie gern an ihrer Brust gespürt hätte …
Nein! Flavia schüttelte sich innerlich, um wieder klar zu werden. Sie durfte sich nicht in diesen Bildern verlieren, sondern musste die Erfahrung ad acta legen und sich ihrem echten Leben zuwenden.
An diesem neuen Mantra arbeitete sie die ganze Fahrt über nach Dorset. Sie war in aller Frühe aufgestanden, um Anita oder ihrem Vater nicht über den Weg laufen zu müssen, und hatte sich in einen der ersten Züge gesetzt. Gedankenverloren starrte sie aus dem Fenster und ließ die Landschaft an sich vorbeiziehen.
Dabei versuchte sie, das Geschehene so nüchtern wie möglich zu betrachten: Ich habe einen Mann kennengelernt. Einen einzigartigen Mann, wie er mir noch nie zuvor begegnet ist. Und aus einem unerfindlichen, irrationalen Grund hat er diesen gewissen Einfluss auf mich, den niemand zuvor je hatte. Was lächerlich ist, denn wir passen ja nun überhaupt nicht zusammen . Und eine Beziehung zwischen uns ist ein Ding der Unmöglichkeit! Er gehört zu meinem Vater, und ich will mit beiden nichts zu tun haben, machte sie sich klar. Selbst wenn das nicht wäre, müsste ich in erster Linie an Grandma denken. Da ist ein Mann in meinem Leben einfach nicht drin! Ich darf Leon auf keinen Fall wiedersehen, denn nach letzter Nacht steht eines fest: Sollten wir beide wieder aufeinandertreffen, landen wir auch zusammen im Bett!
Vorausgesetzt, Flavia hatte sich nicht unter Kontrolle. Hätte sie es gestern Abend tatsächlich darauf ankommen lassen? Oh ja! antwortete ihr Gewissen, und auf ihren Wangen zeichneten sich
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