Kalte Spur
Doc-Martens-Stiefeln über die Jeans bis zum langärmligen Rollkragenpulli. Auch hatte sie schwarzen Lippenstift und kräftige Wimperntusche aufgetragen. Ihre Augen waren dunkelblau. Schön ist sie nicht, dachte Joe. Ohne den schwarzen Aufzug, der immer wie ein Statement wirkt, wäre sie unscheinbar.
Auch Garrett drehte sich um. Er war verärgert. »Deena, hab ich dir nicht verboten, Rauch in dieses Zimmer mit meiner teuren Ausrüstung dringen zu lassen?«
Deena richtete die Augen auf Joe und antwortete, ohne den Blick von ihm zu nehmen.
»Entschuldige, Cleve, ich hab euch reden hören und deshalb …«
»Mach bitte die Tür zu«, sagte Garrett streng, als redete er mit einem Kind.
Joe erwiderte ihren Blick. Die Leere in Deenas Augen und Miene war bemerkenswert. Doch es schien, als wollte sie mit ihm Verbindung aufnehmen.
»Deena …«, mahnte Garrett.
»Bye«, verkündete sie kleinmädchenhaft, trat über die Schwelle zurück und schloss die Tür.
Joe sah Garrett Erklärung heischend an, doch sein Gegenüber war immer noch aufgebracht. Sein dramatischer Monolog war unterbrochen worden.
»Deena begleitet mich seit Montana«, sagte er mit eisigem Blick, doch Joe bemerkte an seinem Erröten, dass es ihm peinlich war. »Sie hat sich an mich gehängt, so kann man das wohl nennen. Mein Metier zieht Menschen an, die etwas am Rand der Gesellschaft stehen. Ich tue, was ich kann, um ihr bei ihrer Reise behilflich zu sein.«
»Ist sie überhaupt schon siebzehn?«, fragte Joe kühl.
»Neunzehn ist sie!«, zischte Garrett. »Längst volljährig. Sie weiß, was sie tut.«
Joe nickte nur und schob seinen Hocker zurück.
»Was, Sie gehen?«
»Ich hab für heute genug gehört, denke ich.«
Er stand auf, nahm seinen Hut und wandte sich zur Tür. Garrett folgte ihm.
»Ich glaube, ich weiß, was da draußen geschieht, Mr. Pickett. Ich bin der Lösung des Rätsels so nah, dass ich es beinahe herausbrüllen könnte! Aber Sie müssen mir Zugang
zur Arbeitsgruppe und zu Ihren Entdeckungen gewähren. Ich muss die Sachakten und Ermittlungsberichte einsehen. Und Sie müssen dafür sorgen, dass ich bei einem weiteren Fund sofort benachrichtigt werde.«
»Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie müssen sich an Robey wenden«, sagte Joe über die Schulter hinweg und trat aus dem Wohnwagen.
»Sie müssen für mich bürgen«, bat Garrett. »Ich bitte Sie, Sir!«
Joe öffnete die Tür seines Pick-ups und zögerte kurz. Garrett stand mit flehentlich geöffneten Armen vor seinem Airstream.
»Ich werde mit ihnen reden. Aber ich muss mir genau überlegen, was ich sage.«
»Um mehr bitte ich gar nicht.« Garretts Miene hellte sich auf.
Er sah sie im dichten Wald, ehe er aus dem Riverside-Wohnmobilpark bog. Es war nur ein flüchtiger Eindruck durchs Beifahrerfenster. Zwischen den Stämmen schimmerten ihre von dunklem Make-up umrahmten Augen.
Joe warf einen Blick in den Rückspiegel. Cleve Garrett war in seinen Wohnwagen zurückgekehrt, und die Frontscheibe des Airstreams war von mit Baumparasiten überwucherten Ästen am Wegrand verdeckt. Garrett würde ihn nicht sehen können.
Er hielt an und stieg aus. »Deena?«
»Ja.«
Er querte den Schotterweg und betrat den weichen Mulchboden des Gehölzes. Sie lehnte an einem alten, mächtigen Pappelstamm, ohne Jacke, und ihr Gesicht war noch blasser
als zuvor. Die Arme hatte sie um den Leib geschlungen, und ihre langen, weißen Finger mit den schwarz lackierten Nägeln umgriffen die Schultern.
»Wollten Sie mir da drin etwas sagen?«
Sie musterte sein Gesicht, um ihn einzuschätzen.
»Vermutlich.« Ihre Stimme zitterte. »Vielleicht …« War ihr kalt, oder hatte sie Angst?
Er zog seine Jacke aus und legte sie ihr um.
»Welcher Jahrgang bist du, Deena?«, fragte er. Wie erwartet, zuckte sie verwirrt zusammen, als sie das ausrechnen wollte. Ob sie wusste, dass Garrett behauptet hatte, sie sei neunzehn?
Sie gab auf und versuchte gar nicht erst zu lügen. »Bitte schicken Sie mich nicht wieder nach Montana. Da lebt niemand, der mich haben will.«
»Was wolltest du mir sagen, Deena?«
Joe musterte ihr Gesicht und ihre gesamte Gestalt. Unter der Grundierung des Make-ups war auf beiden Wangen eine Landkarte aus Akne-Narben zu sehen. Ein schwarzer, schimmernder Lipgloss-Fleck verunzierte ihren Mundwinkel.
»Ich hab nicht viel von dem mitbekommen, was Sie mit Cleve geredet haben«, sagte sie mit so schwacher Stimme, dass er sie kaum verstand, »aber ich weiß, dass bei ihm mehr
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