Kalte Spur
windigem Wetter) im riesigen Wohnzimmer. Das anschließende Essen wurde mit hervorragenden Weinen im Speisezimmer eingenommen, bevor die Männer schließlich in Buds geräumiges Büro gingen, während die Frauen ins Wohnzimmer umzogen. Missy bewegte sich anmutig von Gast zu Gast, stellte unverfängliche Fragen, führte den Stand der Renovierungsarbeiten an dem alten Ranchhaus vor, die sie beaufsichtigte, lachte über Scherze, besprach ihre Hochzeitspläne und drängte die Besucher, ihre Drinks nachzufüllen. Ihr Gesicht strahlt an diesen Abenden, dass man sie wirklich für schön halten könnte, wenn man es nicht besser wüsste, dachte Joe.
Er hatte schon mehrere halbherzige Versuche unternommen, sich diesen Abendessen zu entziehen, doch vergebens. Marybeth fühlte sich verpflichtet, daran teilzunehmen, weil es für die Mädchen wichtig sei, ein gutes Verhältnis zu ihrer Großmutter zu haben. Joe argwöhnte, Marybeth genieße Geselligkeit und Gespräch, obwohl sie behauptete, es bedeute ihr nicht viel. Sheridan und Lucy, so vermutete er, dachten über diese Abende eher so wie er. Schließlich waren fast nie andere Kinder dabei.
»Dürfen wir aufstehen?«, bat Lucy. Sie saß bei Jessica Logue und Sheridan und fragte im Namen aller drei.
Marybeth sah Marie an, und beide nickten. Lucy und
Jessica hatten nicht miteinander gespielt, seit sie Ärger bekommen hatten, und waren sichtlich froh, dass das Abendessen sie zusammenbrachte.
»Können sie rausgehen?«, fragte Marybeth Joe.
»Wir haben sie ja im Auge«, schaltete Missy sich ein und tat die Sorgen ihrer Tochter ab. Flüsternd setzte sie hinzu: »In offenem Gelände ist noch nie etwas passiert, Schatz.«
»Bleibt nah am Haus«, rief Marybeth den Mädchen nach, die schon auf dem Weg zur Tür waren.
»Wir sehen bloß nach den Pferden«, flötete Sheridan noch, ehe die Fliegengittertür zuknallte.
Nach dem Essen kam das Gespräch auf die Verstümmelungen und den Tod von Tuff Montegue. Bud Longbrake fragte Cam Logue, welche wirtschaftlichen Auswirkungen die Ereignisse auf das Tal hatten, besonders auf die Grundstückspreise.
»Wir können nur beten, dass die Sache rasch vorbeigeht«, erwiderte Cam. »Ich schätze, die Verbrechensserie hat den Wert von Land und Häusern bereits um zwanzig Prozent sinken lassen. Twelve Sleep County ist geradezu radioaktiv.«
Er schüttelte den Kopf. »Ich hab zum Beispiel ein Geschäft fast unter Dach und Fach, aber nun will der Käufer doch noch warten, bis der Preis weiter nachgibt. Die Anbieter streiten darüber, ob sie ihre Forderungen ein wenig senken sollen. So lange liegt alles auf Eis.«
Bud lächelte wissend. »Ich glaube, ich weiß, von welcher Ranch Sie sprechen. Diese verrückten Schwestern. Sie wären reich, wenn ihr Vater die Bodenrechte nicht verkauft hätte. Darüber hat sich früher keiner Gedanken gemacht. Alle meinten, falls es unter ihren Grundstücken kein Öl zu holen gebe – und das gab es nie –, bedeute der Verkauf dieser Rechte,
sich von Trotteln Geld schenken zu lassen. Angeblich sollen zweitausend Gasschächte auf dem Land der Schwestern gebohrt werden.«
Cam nickte zurückhaltend. Es war ihm offenkundig unangenehm, über Einzelheiten der Ranch und über Verkaufsbedingungen zu sprechen, doch Bud schnüffelte gern, wenn auch auf gutmütige Weise.
»Verrückt.« Marie schüttelte den Kopf. »Marybeth erwähnte, dass Sie obendrein noch Besuch bekommen haben«, sagte Missy zu ihr und Cam.
Der lachte und fuhr sich durch den Blondschopf. »Stimmt, für einen Besuch der ganzen Familie ist das nicht gerade der ideale Zeitpunkt.«
»Den gibt es ohnehin nicht«, flötete Missy teilnahmsvoll. Und das von einer Frau, die ihre Zelte für anderthalb Monate in meinem Haus aufgeschlagen hat, bevor sie bei Bud Longbrake eingezogen ist, dachte Joe säuerlich.
Als die Unterhaltung sich wieder alltäglicheren Dingen zuwandte, versank Joe in Gedanken. Immer wieder ging er den Vormittag im Riverside Park und sein Gespräch mit Cleve Garrett durch. Er konnte sein Unbehagen nicht abschütteln. Garretts Bemerkungen über die Unterschiede zwischen dem Tod von Tuff Montegue und dem von Stuart Tanner hatten ihn den ganzen Nachmittag über beschäftigt. Einmal mehr schien nichts einen Sinn zu ergeben oder so zusammenzuhängen, wie es das sollte.
»Joe?«, unterbrach Marybeth seine Gedanken. »Bud hat dich was gefragt.«
Er sah die am Tisch Versammelten der Reihe nach an und merkte, dass Missy ihr Dessert nicht mehr
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