Kalte Spur
ins Detail gegangen bin.«
Joe stellte sich vor, wie McLanahan ihm am Telefon zugehört und dabei das Kreuzworträtsel hinten in der Fernsehzeitschrift gelöst hatte.
»Der Hilfssheriff hat nur sehr wenig von dieser Unterhaltung erzählt.«Joe gefiel es nicht, McLanahan zu decken.
»Na«, meinte Garrett und schien verärgert, »also deshalb wurde ich nicht gebeten, an der Sitzung Ihrer Arbeitsgruppe teilzunehmen.«
Joe sah ihn verständnislos an.
»Wenn ihr Ermittler wirklich ein Interesse daran hättet, diesen Verstümmelungen und Morden auf den Grund zu gehen, würdet ihr mir einen Sitz in eurer Arbeitsgruppe einräumen.«
»Darüber müssten Sie mit dem Bezirksstaatsanwalt sprechen, mit Robey Hersig.« Joe nahm sich vor, Hersig baldmöglichst vorzuwarnen, dass Dr. Cleve Garrett Kontakt zu ihm aufnehmen würde.
Garretts Monolog zog sich über eine halbe Stunde lang hin. Er zeigte Joe Fotos von verstümmelten Rindern, Schafen, Pferden und Ziegen, die in den letzten vier Jahrzehnten in den USA und Kanada, aber auch in Mittel- und Südamerika aufgenommen wurden. In den 1960er Jahren war es in Europa zu ähnlichen Vorfällen gekommen, und oft hatte man zeitgleich mutmaßliche Kornkreise entdeckt. Die offiziellen Erklärungen für die geografisch breit gestreuten Verstümmelungen
waren sehr verschieden, doch meist war von Vögeln, Insekten oder Kulten die Rede.
Die Fallakten – oft alte Kohlepapierdurchschläge, mitunter auf Spanisch oder Portugiesisch – stapelten sich wie die Fotos vor ihnen auf dem Tisch. Die letzten Mappen enthielten Bilder und Ortsnamen, die Joe kannte: Conrad, Montana und Helena, Montana.
»Letzten Winter wurden verstümmelte Rinder in Montana entdeckt«, sagte Garrett. »Jemand dort oben kannte unsere Gruppe und rief uns an. Leider wurden wir drei Wochen zu spät benachrichtigt. Als ich hinkam, hatten die Bauerntrampel dort alle Tatorte komplett verwüstet und weigerten sich, unsere Unterstützung anzunehmen.«
Joe verriet nicht, dass er Dave Averys Version dieser Geschichte kannte.
»Die wenigen Rinderköpfe, die wir zur Untersuchung erhielten, waren schon fast seit zwei Monaten tot. Wir haben sie zur Analyse in unser Labor in Reno gebracht.«
Garrett warf einen dicken Ordner mit Nekropsiefotos auf den Tisch. Joe öffnete ihn und sah einen enthäuteten Kuhkopf mit weggefräster Schädeldecke. Jemand sondierte mit einem flachen Metallwerkzeug im verwesten Hirn des Tiers mit einer Bewegung, die unangenehm daran erinnerte, wie man mit dem Messer Erdnussbutter aus dem Glas holt. Als Joe den Ordner langsam schloss, spürte er seinen Morgenkaffee im Magen rumoren.
»In Hirn und Organen der Tiere haben wir unnatürlich hohe Konzentrationen eines Stoffs entdeckt.«
Oxindol, dachte Joe, doch er fragte: »Nämlich?«
Garrett wollte schon antworten, machte aber einen Rückzieher und sagte geziert: »Das kann bis zur nächsten Sitzung warten.«
»Wir spielen hier also Spielchen?«
»Das ist nicht mein Stil. Aber ich decke nicht alle Karten auf, ehe wir eine Vereinbarung getroffen haben und man mir eine gewisse Stellung in der Arbeitsgruppe gibt.«
Joe nickte. »Weiter.«
»Einige der chemischen Verbindungen waren unseren Wissenschaftlern unbekannt. Verstehen Sie? Unbekannt! Im Hirn von Rindern aus Montana wurden Gifte und Beruhigungsmittel gefunden, die nicht von dieser Welt stammen. Die Verstümmelungen wurden mit extrem leistungsstarken Hochtemperatur-Lasern durchgeführt, Instrumenten, die nur in den besten chirurgischen Kliniken stehen. Diese Verletzungen können den Tieren nicht irgendwo außerhalb von Conrad, Montana, in der Wildnis beigebracht worden sein.«
Joe war fasziniert. Er sah auf, denn er konnte seine Augen nicht länger auf Fotos richten, deren schiere Menge ihn betäubte.
»Was also haben Sie ermittelt?«
Garrett seufzte. »Dass wir zu spät dran waren, um eine sachgerechte Untersuchung durchzuführen. Wir haben auf neue Verstümmelungen in Montana gewartet, doch es wurde nichts bekannt. Wir waren sehr enttäuscht. Unsere Wissenschaftler ersehnten frischeres, noch unverwestes Gewebe, doch wer oder was immer die Rinder verstümmelt hatte, war weitergezogen.«
»Nach Twelve Sleep County.«
»Ja!«, dröhnte Garrett und hätte fast den Tisch umgeworfen. Sein unvermittelter Aufschrei hatte wie ein Schuss geklungen. »Jetzt sind wir mittendrin, genau dort, wo es geschieht. Und es trifft nicht nur Rinder und Wild, sondern vielleicht erstmals Menschen! Darum muss ich
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