Kalte Spur
gesäumten Büro bei einem Brandy, den er sich nach dem Essen in einen Kognakschwenker gegossen hatte, fest, »aber so einen Tod hat niemand verdient.«
Cam pflichtete ihm halblaut bei und nahm einen Schluck von seinem Drink. Joe hatte auf Brandy verzichtet und goss sich stattdessen Bourbon ins Glas.
»Auf die meisten Mitarbeiter kann man sich nicht verlassen«, fuhr Bud fort. »Ihre Loyalität reicht nur bis zum nächsten
Gehaltsscheck. Sie denken, man sei ihnen den Lebensunterhalt schuldig und sie hätten ein Recht darauf. Deshalb stelle ich gern Jungs wie Roberto ein, denen klar ist, dass sie es bei mir gut getroffen haben. Aber Tuff hat im Laufe der Jahre mindestens fünfmal hier gearbeitet. Zweimal hab ich ihn gefeuert, aber sonst hat er gekündigt, um etwas anderes zu tun. Er war eine Zeit lang Vermessungsgehilfe, dann Kundendienstler für eine Handyfirma. Man stelle sich das vor: ein Cowboy im Kundendienst!
Nachdem er dann in Jackson Hole für eine Weile den Wilden aus den Bergen gemimt hat, ist der alte Tuff, seinen Hut in den Händen, wieder in dieses Büro gekommen und hat um seinen alten Job gebeten. Und jetzt ist er tot.«
Joe sah unvermittelt auf. »Bud, sagtest du gerade, Tuff hat für einen Landvermesser gearbeitet?«
»Ja, warum?«
»Ich weiß nicht. Hat mich einfach interessiert.«
Ihm fiel auf, dass Cam Logue ihn musterte. Er sah Cam in die Augen, und der blickte weg.
»Tuff hatte viele Jobs.« Bud lachte. »Hab ich euch erzählt, wie er mal versuchte, eine Frau bei diesem Dinner-Theater für Touristen zu sich auf den Sattel zu hieven?«
Während Joe zuhörte, füllte er sich aus einem Kübel auf dem Schreibtisch frisches Eis in sein Glas. Die Vorhänge waren beiseitegezogen, draußen war es dunkel geworden. Es wurde langsam spät. Ob er Marybeth mit diesem Argument zur Heimfahrt drängen sollte? Schließlich mussten die Kinder zur Schule.
Er bemerkte seine Töchter und Jessica Logue im schwachen Schein des Hoflichts.
»Irgendwas stimmt wirklich nicht mit den Pferden«, wiederholte Sheridan zu Lucy und Jessica und unterbrach ihre Diskussion darüber, wer der süßeste Junge in der Sechsten war.
Um einzelne Pferde in der Koppel zu unterscheiden, war es mittlerweile zu duster. Die Herde war eine dunkle, nervös scheuende Masse. Mitunter löste sich ein Pferd von den anderen, kam rasch an den Zaun und blieb unvermittelt stehen, sodass sie seinen Umriss recht gut erkannte. Doch wie der graubraune Wallach, der als Erster angestürmt war, kehrten auch die anderen Tiere zur Herde zurück. Ihr Hufschlag war deutlich zu hören, genau wie ihre Fressgeräusche.
»Vielleicht ist es der Verstümmler«, flüsterte Jessica.
»Hör auf damit«, erklärte Lucy scharf. »Und das meine ich ernst.«
»Das find ich auch«, sagte Sheridan. »Lass das.«
»’tschuldigung«, wisperte Jessica nahezu.
Dann wieherte eines der Pferde dort, wo die Tiere sich in einer Ecke der Koppel drängten, laut auf.
Im Haus schreckte Marybeth auf. »Was war das?«
»Nur die Pferde«, sagte Missy mit ihrem Gastgeberinnenlächeln und füllte die Kaffeetassen auf dem Silbertablett ungerührt weiter. »Bud hat sie runter in die Koppel gebracht.«
»Warum hat er sie aus den Bergen geholt?« Ihr Ton ließ Missy finster dreinblicken.
»Weißt du«, erklärte sie, »seit Tuffs Tod macht Bud sich ein bisschen Sorgen um sein Vieh.«
»Die Mädchen sind da draußen!«, fuhr Marybeth sie an.
Marie schlug die Hand vor den Mund.
Marybeth war schon auf halbem Weg hinaus, als Joe aus Buds Büro steuerte und auf sie zukam. Hinter ihm erschien
Cam mit einem Brandy in der Tür und beobachtete ihn besorgt.
»Hast du das gehört?«, fragte Marybeth.
»Allerdings«, erwiderte Joe.
Das tiefe Trommeln von Pferdehufen drang durch die Nacht und ließ den Boden erzittern, als Joe von der Veranda in den Ranchhof rannte. »Sheridan! Lucy! Jessica!«
Er schnappte sich im Vorbeikommen eine Taschenlampe aus dem Handschuhfach des Familienvans und schaltete sie ein. Mist, die Batterien waren leer. Er schlug die Lampe gegen seinen Schenkel, und ein schwaches Licht erglomm. Hoffentlich würde das Gerät noch ein wenig durchhalten.
Als er zur Koppel blickte, sah er etwas über den Boden flattern, und sein Herz tat einen Satz. Doch was da flatterte, waren seine Töchter und Jessica Logue, die mit wehenden Jacken, Haaren und Kleidern auf ihn zugestürmt kamen.
»Gott sei Dank«, flüsterte er.
»Dad! Dad!«
Sie erreichten ihn im gleichen
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