Kopf. Wasser glänzte auf seinen dicken Lippen, doch dazu traten immer größere, hellrote Perlen. Ein Rinnsal Blut lief dem Tier vom Kinn und verfärbte das Wasser im Trog. Die Augen waren ungewöhnlich groß und standen nahezu obszön hervor. Sie waren lidlos.
Das Gesicht des Farbwechslers war zum Großteil weggeschnitten und hing an einem Hautstreifen vom Kieferknochen wie ein blutiges Lätzchen.
Auf dem Heimweg spitzte Joe die Ohren, als Sheridan und Lucy beschrieben, was sie an der Koppel gesehen, gefühlt und gehört hatten. Es war wichtig, dass sie die Geschichte loswurden
– auch wenn sie ihm sofort nach der Entdeckung des verstümmelten Pferdes bereits alles erzählt hatten.
Bud war so gut gewesen, das Gewehr wieder ins Haus zu nehmen, solange die Picketts zu Gast waren. Inzwischen hatte er dem Tier sicher den Gnadenschuss gegeben, ehe es verblutete, doch zumindest hatten Missys Enkelinnen das nicht erleben müssen. Joe wusste diese Rücksicht zu schätzen.
Der Rancher hatte nicht gesagt, ob er Sheriff Barnum oder Hersig noch am Abend anrufen wollte.
»Dad, ich hab gerade an etwas gedacht«, meldete Sheridan sich von hinten.
»Woran?«
»Erinnerst du dich an die Atmosphäre, als wir den Elch auf der Wiese fanden?«
»Ja«, antwortete Joe vorsichtig.
»Das gleiche Gefühl hatte ich beim Falknern mit Nate, als die Vögel nicht fliegen wollten.«
»Und?«
»Diesmal hab ich nicht das Geringste gespürt. Was mag das bedeuten?«
Joe vermochte auch nach weiteren zurückgelegten Kilometern keine Antwort zu geben.
Er wartete in der Einfahrt, bis Marybeth und die Kinder im Haus waren. Dann lehnte er sich an die Motorhaube, verschränkte die Arme und sah zum klaren, sternenübersäten Himmel auf, der nicht bedrohlich aussah, dafür endlos und ungemein kompliziert. Der Mond stand als Sichel am Himmel. Über den Bergen im Westen verlief der dünne Kreidestrich eines Kondensstreifens. Joe entdeckte nichts, was dort
oben nicht hingehörte. Ihm war nicht klar, wonach er eigentlich suchte und was er täte, falls er etwas Ungewöhnliches entdeckte.
Diese Sache ist mir über, dachte er.
Es sei denn …
Marybeth öffnete die Haustür und sah nach draußen.
»Joe, kommst du?«
»Ja.«
Um halb vier in der Nacht fuhr Joe aus dem Schlaf, als Marybeth sich plötzlich im Bett aufsetzte.
»Alles in Ordnung?«, fragte er.
Sie holte tief Luft und versuchte, sich zu beruhigen.
»Ich hatte einen Albtraum. Dieses Pferd hat immer aufs Neue furchtbar gewiehert.«
»Und du hast wirklich bloß geträumt?«
»Ja sicher.«
»Soll ich nach den Pferden schauen?«
Sie legte sich wieder hin. »Nicht nötig. Ich weiß, dass es nur ein Traum war.«
Er zog sie an sich, schob die Hand unter ihr Nachthemd, umfasste die linke Brust und spürte ihr Herz klopfen. Er hielt sie im Arm, bis das Pochen nachließ und sie wieder gleichmäßig atmete. Als sie eingeschlafen war, löste er sich von ihr und glitt aus dem Bett.
Nachdem er nackten Fußes in seine Stiefel geschlüpft war, den Hut aufgesetzt und den Bademantel gegürtet hatte, ging er nach den Pferden sehen. Seine Schrotflinte nahm er mit. Den Tieren ging es gut, und er seufzte erleichtert auf.
Bei seiner Rückkehr war er blitzwach. Also ging er in sein kleines Büro, schloss die Tür und lehnte das Gewehr an die
Wand. Es war so still im Haus, dass das Geräusch, mit dem der Computer hochfuhr, ihn zusammenzucken ließ.
Er öffnete sein Mail-Programm. Binnen Sekunden liefen viele Anweisungen und Presseerklärungen der Zentrale in Cheyenne im Posteingang auf, dazu Spam und eine Nachricht von Trey Crump mit dem Betreff: »Wie läuft’s?« Von Hersig, Avery oder dem Labor war nichts gekommen, dafür aber ein umfangreiches Attachment, das etwas Zeit brauchte, bis es heruntergeladen war.
Die lange Mail enthielt keinen Betreff. Doch der Absender lautete »
[email protected].«
Er klickte auf die Nachricht.
Als sie aufging, stockte ihm der Atem. »Oh nein«, flüsterte er.
Siebzehntes Kapitel
SEHNSÜCHTIG BEREIT FÜR JOE PICKETT … hieß es in so grellbunter wie ungewöhnlicher Type.
Darunter befand sich ein Digitalfoto. Als Joe mit dem Cursor abwärts fuhr, merkte er, wie kalt ihm plötzlich geworden war, und er gürtete den Bademantel fester.
Das Bild zeigte Deena. Sie posierte auf dem Metalltisch im Airstream, an dem er tags zuvor mit Garrett gesessen hatte. Von den dicksohligen Doc-Martens-Stiefeln abgesehen, war sie nackt, saß mit gespreizten Beinen auf