Kalte Spuren (German Edition)
Kaum, dass er daran gedacht hatte, fielen ihm bereits die Augenlider zu.
Halifax, Kanada
Citadel Hotel
16. November, 01:25 Uhr
Das leise Piepsen des Laptops auf dem Couchtisch weckte Gwendolyn Stylez. Verschlafen blinzelte sie zum Display, das auf Armeslänge vor ihr stand. Sie hatte den Computer nicht mehr ausgeschaltet, bevor sie eingeschlafen war. Für einen Moment überlegte sie, den Displaydeckel einfach zuzuklappen und die Augen wieder zuzumachen, doch dann spürte sie eine Verspannung im Nacken und gleich darauf den Schmerz in der Schulter, der sich bis zur Hüfte hinunterzog. Sofaschlaf war nicht der gesündeste. Gwen richtete sich auf. Ihre Knochen knackten, als sie sich reckte und streckte. Verstohlen schielte sie zur Schlafzimmertür hinüber, doch dann fiel ihr Blick wieder auf das Laptopdisplay.
Sie hatte das System des Verbundes angewiesen, eine E-Mail abzusetzen, um sie zu benachrichtigen, sobald die Suchabfrage beendet war. Das war offensichtlich geschehen und der Piepton rührte von der Nachricht her.
»Na schön.«
Gwen griff nach der Teetasse und stellte fest, dass sie leer war. Statt jedoch zur Zimmerbar zu gehen, neues Teewasser aufzusetzen oder sich eine Flasche Wasser aus dem Kühlfach zu nehmen, wandte sie sich dem Laptop zu und rief ein Browserfenster auf. Sie gab die IP-Adresse des Verbundservers ein, wartete, bis sie umgeroutet wurde, und startete dann ihr Login-Programm. Als sie sich im System befand, klickte sie sich durch die verschiedenen Ebenen bis zur Suchmaske, um die Ergebnisse einzusehen.
Das Stichwort ANTARADIM hatte nur einen Treffer ergeben. Gwen fuhr mit dem Finger über das Touchpad, bewegte den Mauszeiger auf das Ergebnis und klickte darauf. Der Hinweis bezog sich auf eine Datenbank mit dem Namen Antaradim, die aber offensichtlich nicht einsehbar war. Es gab keinen Querverweis. Anscheinend befand sich das Verzeichnis nicht auf dem Server des Verbundes. Schläfrig wollte Gwen einen Schritt zurück machen, als sie mit dem Mauszeiger innehielt.
»Mensch, Stylez! Du bist noch nicht richtig wach!«
Wenn es keinen Querverweis gab, bedeutete das nicht nur, dass sich die Datenbank nicht auf dem Server des Verbundes befand, sondern auch, dass sie sich auf keinem Server befand, der über ein Netzwerk auf dieser Welt zugänglich war.
Gwen lehnte sich zurück und dachte nach. Als sie gut zehn Minuten auf das Display gestarrt hatte und beinahe wieder einzunicken drohte, stand sie auf und ging ins Bad. Sie schöpfte eiskaltes Wasser aus dem Hahn vom Waschbecken und wusch sich das Gesicht. Halbwegs wach ging sie zur Minibar und fischte eine kleine Flasche Cola heraus. Damit kehrte sie zur Couch zurück an den Laptop.
Sie schloss die Wahrscheinlichkeit aus, dass die Datenbank verschlüsselt war. In dem Fall hätte es zumindest einen Hinweis darauf gegeben.
Wenn die an den Verbund angeschlossenen Rechner nicht an Daten kommen, gibt es drei Möglichkeiten, dachte Gwen. Entweder befinden sie sich auf einem Server G-Dawns und konnten wegen der extrem hohen Verschlüsselung nicht entdeckt werden. Oder sie befanden sich irgendwo auf einer Festplatte in einem Rechner, der keine Onlineverbindung aufbauen konnte. Vollkommen netzwerklos.
Drittens, dachte Gwen, die Datenbank ist gar keine EDV -Datenbank, sondern besteht aus einer handschriftlichen oder mit Maschine geschriebenen Aufzeichnung.
»Interessant …«
Sie klickte zurück in das Suchergebnis und sah die Treffer der beiden anderen Anfragen.
DEFECTOR .
RENEGADE .
Darüber gab es einige Abhandlungen, Exposés und Manuskripte. Die Virenstämme waren sowohl dem Verbund als auch Gaia’s Dawn bekannt. Sämtliche Daten, die Gwen bezog, stammten direkt von den Verbundservern und waren nur Mitarbeitern mit höchster Sicherheitsstufe innerhalb des Verbundintranets zugänglich. Diese Sicherheitsstufe hatten nur Generäle und ihre Assistentinnen inne.
Manchmal ist es gut, eine Stylez zu sein, dachte Gwendolyn und lächelte.
Sie rief das erste Dokument auf und überflog es. Es gab schematische Darstellungen des Virenaufbaus beider Stämme. Dazu animierte DNA -Stränge, die bis ins kleinste Detail ein- und auszoombar waren. Soweit sie es überschauen konnte, waren sowohl der Defector- als auch der Renegade-Stamm von den Genetikern des Verbundes komplett entschlüsselt worden. Das bedeutete, sie konnten die DNA jederzeit beliebig verändern, mit ihr herumspielen, als hätten sie ein Grippevirus vor sich. Kleinste
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