Kalte Spuren (German Edition)
Modifizierungen der Viren konnten ungeahnte Folgen nach sich ziehen. Gwen schüttelte sich und merkte, wie sich ihre Nackenhärchen aufrichteten. Genmanipulation und die Arbeit an gefährlichen Virenstämmen war nie ihr Fall gewesen. Selbst, wenn sie in Betracht zog, dass sie selbst vermutlich das Ergebnis eines genetischen Experiments war. So wie alle Stylez, die sich wie ein Ei dem anderen glichen.
Sie blätterte weiter. Die Colaflasche war bereits leer. Auf den Geschmack gekommen, gönnte sich Gwen eine zweite, wonach der Vorrat auch bereits erschöpft war. Sie dachte kurz daran, den nächsten 7eleven-Shop in Hafennähe aufzusuchen, entschied sich dann jedoch dafür, noch Teewasser aufzusetzen.
Nach dem sechsten Tee saß sie bereits zweieinhalb Stunden vor dem Laptop und hatte nicht einmal einen Bruchteil der Dokumente zum Thema der beiden Virenstämme gesichtet. Die meisten waren wissenschaftliche Abhandlungen, die mit unverständlichen Fachbegriffen gewürzt waren. Gwen hätte jedes Wort einzeln nachschlagen müssen, um zu verstehen, worum es dabei ging.
Dann kam sie zu einem interessanten Punkt. Neugierig geworden überflog sie einen Artikel, der als high classified gekennzeichnet war. Eigentlich ein Hohn, denn das gesamte Material, das sie sichtete, war als solches zu bezeichnen.
Gwen las und spürte, wie ihr übel wurde. Der Artikel handelte von der Kombination der beiden Virenstämme Defector und Renegade zu einer Art Supervirus, der nach Eileens Angaben die frühzeitliche Hochkultur der Antaradim ausgelöscht haben sollte. Was dort über das Virus stand, veränderte alles. Gwen erschreckte es so sehr, dass sie eine halbe Stunde auf den Bildschirm starrte, innerlich leer und hilflos. Wie gelähmt saß sie vor dem Laptop und hatte nur noch den Gedanken, dass sie unbedingt Eileen Hannigan erreichen und ihr von dieser Neuigkeit erzählen musste.
Es ging um Leben und Tod.
Nordatlantik, Baffinbucht
16. November, 02:05 Uhr
Le Soleil
Sie liefen sich zufällig über den Weg. Eigentlich wollte Markus de Vries nach dem kleinen Umtrunk, zu dem Jae Narwick in die Messe gebeten hatte, direkt in sein Quartier gehen, sich ins Bett werfen und die Ereignisse des letzten Tages tief in sich verbannen. Der Schreck saß ihm noch immer in den Gliedern. Daran konnten auch drei Whisky auf Eis nichts ändern.
Narwick schien es nach der Versorgung der Wunde besser zu gehen. Allerdings schaffte er es nicht, sein gewinnendes Lächeln aufzusetzen, sondern blickte den ganzen Abend betrübt drein. Der Verlust seiner Leute, inklusive der beiden Leibwächterinnen Paula und Sandra, sowie der Fregatte La Lumière hatte ihn tief getroffen. Die Stimmung in der Messe war bedrückt. Man aß etwas, genehmigte sich ein paar Drinks. Hier und dort wurden ein paar Worte gewechselt, doch nichts wirklich Wichtiges gesprochen.
Markus schlenderte auf dem Weg zu seinem Quartier die Reling entlang und blieb vor dem Schott draußen stehen. Die Nacht war noch immer sternklar und der Mond stand am westlichen Horizont. Es war kalt, sodass Markus sich den Kragen des Parkas bis zum Hals zuzog und kurz erwog, die Kapuze überzustülpen. Eine Zeit lang stand er da und starrte in die Nacht hinaus. Wenn er heile aus dieser Sache wieder herauskam, könnte er ein Buch über seine Erlebnisse der letzten Tage schreiben. Die Sache hatte nur einen Haken – er war nicht einmal in der Lage, seine Klausuren richtig auszuformulieren. Vielleicht sollte er jemanden damit beauftragen, der sich damit auskannte und ein Talent in Stil- und Spannungsfragen hatte. Markus geisterten Namen wie Schätzing und Eschbach durch den Kopf. Vielleicht sollte er es aber gleich internationaler angehen. Dann konnte er möglicherweise auch gleich die Filmrechte verkaufen.
»Clancy«, murmelte er vor sich hin. »Oder Michael Crichton.«
Schritte klangen hinter ihm auf.
»Crichton ist tot«, sagte Eileen Hannigan und stellte sich neben Markus an die Reling. Sie sprach fast akzentfreies Deutsch. »Konntest du auch nicht schlafen?«
Markus zuckte verlegen mit den Schultern.
Er merkte, wie ihm die Röte ins Gesicht schoss, und war dankbar dafür, dass selbst das hellste Sternenlicht nicht seine Gesichtsfarbe preisgeben konnte. Verdammt. Auf Eileen war er nicht vorbereitet gewesen. Wie sollte er sich ihr gegenüber verhalten?
Wie ein dummer, verliebter Teenager, der sich gleich in die Hose macht, weil er seiner Flamme gegenübersteht, die überhaupt nichts von ihrem
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