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Kalte Stille - Kalte Stille

Titel: Kalte Stille - Kalte Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wulf Dorn
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die Leute gegen die Klinik aufzuwiegeln. Er ist der festen Überzeugung, wir Ärzte seien schuld am Tod seiner Tochter. Wir hätten sie in den Selbstmord getrieben.« Er sah Jan mit einem Ausdruck des Bedauerns an. »Ich weiß, Sie beide sind Freunde, aber ich vermute, er wird Ihnen nicht erzählt haben, dass er sogar zweimal gegen die Klinik prozessiert hat. Beide Male ohne Erfolg. Aber das schien ihm gleichgültig gewesen zu sein. Er hatte es schließlich geschafft, uns vor der Presse in ein schlechtes Licht zu rücken.«

    »Und deswegen waren Sie bei ihm?«
    »Hauptsächlich wegen Ihrer Bekannten«, sagte Rauh. »Frau Weller scheint mir wegen des Verlusts ihrer Freundin sehr labil zu sein, und ich hatte den Eindruck, Marenburg hat sich das zunutze gemacht und ihr seine Verschwörungstheorien eingeimpft. Ich war wütend und wollte ihn deswegen zur Rede stellen. Ich wollte wissen, ob ihm klar war, was er bei der jungen Frau ausgelöst hat. Immerhin hat sie sich die Handgelenke aufgeschnitten, nur um bei uns eingewiesen zu werden. Ein solches Verhalten spricht ja wohl Bände. Tja, Marenburg jedenfalls hat mir die Tür ziemlich schnell wieder vor der Nase zugeknallt.« Rauh fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. »Ich wollte nur, dass Sie das wissen, Jan.«
    Sekundenlang herrschte Schweigen. Nur das leise Pfeifen des Windes in der offenen Luke war zu hören.
    »Nun gut«, sagte Jan. »Ich wäre nicht hier, wenn ich Ihnen nicht glauben würde. Sehen wir uns weiter um.«
    Rauh lächelte schwach, dann schwenkte er den Lichtstrahl wieder in den kleinen Raum. Vor dem Generator standen drei Kanister, und es roch nach Diesel. »Ob das alte Teil noch funktioniert?«
    Jan wiegte den Kopf. »Möglich. Sieht zwar eher so aus, als würde einem das Ding um die Ohren fliegen, aber ich wüsste nicht, weshalb man hier sonst Treibstoff lagern sollte. Die Kanister sind nicht so alt wie der Generator.«
    Rauh besah sich den Generator genauer und machte sich schließlich daran zu schaffen. Jan war erstaunt, wie geschickt er sich dabei anstellte. Das hätte er diesem Dressman gar nicht zugetraut.
    Kurz darauf setzte sich die Maschine rumpelnd und ratternd in Bewegung. Gleichzeitig flackerten die hinter
Drahtgeflechten geschützten Glühbirnen auf, die entlang eines dicken Stromkabels von der Decke hingen.
    »Na, wer sagt’s denn«, triumphierte Rauh und wischte sich die schmutzigen Hände an der zerrissenen Hose ab. »Irgendwann zahlt sich selbst das Leben als armer Student aus. Wie viele Nächte habe ich mir mit dem Herumschrauben an meinen alten Rostmühlen um die Ohren schlagen müssen. Aber irgendwie habe ich sie immer wieder zum Laufen bekommen. Tja, das waren noch Zeiten. Keine Ahnung, wie lange wir Licht haben werden, aber ich hoffe, es reicht für einen schnellen Rundgang.«
    Sie verließen den Generatorraum, und Rauh zog die dicke Schutztür hinter sich zu, die Lärm und Gestank des Gerätes verschluckte.
    Es tat gut, hier unten Licht zu haben. Jan spürte, wie der klaustrophobische Druck von ihm wich. Das Gefühl, hier unten lebendig begraben zu sein, ließ nach, wenn auch nicht völlig.
    Der Bunker war deutlich größer als vermutet. Vom breiten Mittelgang aus gelangte man in fünf Räume. Jeweils zwei zu beiden Seiten und einer am Gangende. Die ersten beiden Türen links und rechts führten in ehemalige Quartierräume. In jedem befanden sich zwei verrostete Hochbettgestelle. Die Matratzen waren zerschlissen und zerfressen. Mäuse oder Ratten mussten in dem weichen Füllmaterial genistet haben.
    Auf einer dieser Matratzen lag ein fleckiges Kissen mit einem SpongeBob -Aufdruck und eine alte Wolldecke mit Indianermuster. Die Wand über dieser Schlafstelle war mit Bildern nackter Mädchen aus Zeitungen und Pornomagazinen bedeckt. An der Unterseite des darüber befindlichen Betts war die große Werbeanzeige
einer Versicherungsgesellschaft in den Gitterrost geschoben worden. Sie zeigte ein schmuckes Haus auf dem Land, vor dem ein junges Paar mit zwei freudestrahlenden Kindern dem Betrachter zu verstehen gab, dass man mit dem Rundum-Sorglos-Paket dieser Gesellschaft auf der sicheren Seite des Lebens stand.
    An diesem Ort erschien Jan das Plakat wie blanker Hohn. Wie oft hatte Alfred hier wohl gelegen, zu dem Bild der Idealfamilie emporgesehen und sich vorgestellt, wie es sein musste, eine Frau, Kinder und ein eigenes Heim zu haben, das kein verlassener Nazi-Bunker war.
    »Traurig, nicht wahr?«
    Jan fuhr zusammen. Er hatte nicht

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