Kalte Stille - Kalte Stille
kalten Waldluft wie Rauch aussah.
»Noch immer misstrauisch?«
»Wären Sie das nicht an meiner Stelle?«
»Sie können mich durchsuchen, wenn Sie sich dann wohler fühlen.« Rauh zog die Hände aus den Taschen und hob sie hoch. »Außer der kopierten Karte, der Taschenlampe,
einem Päckchen Pfefferminz und meinen Autoschlüsseln trage ich nichts bei mir.«
Jan winkte ab. »Sehen Sie lieber auf der Karte nach, wie weit wir schon auf Wagners Grund sind.«
Rauh lächelte, dann senkte er die Hände und zog die zusammengefalteten Kopien aus seiner Jackentasche. Dabei fiel ihm ein silberner Gegenstand zu Boden. Es war ein Feuerzeug, das mit der Unterseite im gefrorenen Morast landete.
»Sie haben etwas verloren.«
Rauh bückte sich und hob hastig das Feuerzeug auf. »Oh, danke.«
Er streifte den Schmutz ab.
»Schönes Stück«, sagte Jan.
»Ja.« Rauh steckte das Feuerzeug in seine Jacke zurück. Diesmal in die Innentasche. »Ein Geschenk von meiner Exfrau. Carmen. Wir hätten vorgestern unseren zehnten Hochzeitstag gehabt.«
»Tut mir leid.«
»Ist lange her.« Ohne Jan anzusehen, entfaltete Rauh die Karte und tippte auf eines der eingezeichneten Felder. »Wir sind jetzt in etwa hier.«
»Dann sollten wir noch ein Stück weitergehen«, sagte Jan und besah sich die Karte. »Ungefähr hundert Meter von hier sind Erhöhungen eingezeichnet. Die sollten wir uns genauer ansehen.«
»Also gut«, sagte Rauh und faltete die Karte zusammen. »Dann mal los. Allmählich friere ich hier fest.«
Wenig später gelangten sie an eine Gabelung. Der linke Weg führte zu dem Teil des Grundstücks, den Alfred verkauft hatte, den rechten versperrte eine verrostete Metallschranke. Sie musste einmal rot-weiß gestrichen gewesen sein, doch nun war vor Rost fast nichts mehr
von der Farbe erkennbar. Nur das gelbe Plastikschild schien aus jüngerer Zeit zu stammen:
PRIVATGRUNDSTÜCK
ZUFAHRT UND BETRETEN VERBOTEN!
»Ich vermute, das hat Alfred angebracht«, sagte Rauh.
»Anscheinend«, nickte Jan. »Ich denke, ab hier lohnt es sich zu suchen.«
»Da drüben!«
Rauh zeigte zu einer Ansammlung kleiner Hügel, die mit dicken Tannen bewachsen waren.
Jan besah sich die Hügel, die nicht natürlichen Ursprungs zu sein schienen. Dafür waren sie zu gleichmäßig verteilt. Ihm fiel einer seiner ehemaligen Grundschullehrer wieder ein - Herr Haas, der ihn in Heimat- und Sachkunde unterrichtet hatte. Jan konnte sich noch gut an die Geschichten erinnern, die ihnen der Lehrer über die Vorzeit der Fahlenberger Region erzählt hatte.
»Das sind Keltengräber.«
»Hallstattzeit.« Rauh nickte. »Da würde ein weiterer Hügel nicht auffallen.«
»Na, dann los.«
Mehr als eine halbe Stunde suchten sie die Hügel und die nähere Umgebung nach einem möglichen versteckten Eingang ab. Vergeblich. Wie es schien, waren diese Erhebungen wirklich nur Gräber aus einer Zeit von vor fast dreitausend Jahren.
»Ärgerlich«, sagte Rauh, als sie sich wieder trafen. »Ich hätte wetten können, dass sich der Bunker hier befindet.«
Er rieb sich die Hände. Sein Gesicht mit dem sonst leicht gebräunten Teint regelmäßiger Solariumbesuche
war blass vor Kälte. Seine Wangen und die Nasenspitze leuchteten rot wie bei einer Clownsmaske.
Auch Jan war vor Kälte klamm und hatte kaum noch Gefühl in Händen und Füßen. »Viel Auswahl haben wir nicht mehr. Wenn ich die Karte richtig verstehe, macht der Weg in etwa zweihundert Metern eine weitere Biegung und führt dann in das Nachbarstück hinein.«
»Vielleicht gibt es ja doch keinen Bunker«, sagte Rauh und machte eine ratlose Geste.
»Möglich.« Enttäuscht schaute sich Jan nach allen Seiten um. Dann stutzte er. »Warten Sie! Ich glaube, es gibt ihn doch.«
Er ging auf eine dicke Buche zu, die etwa fünfzig Meter von den Hügelgräbern entfernt aufragte. Der Baum musste sehr alt sein. Zwischen zahlreichen Fichten und Tannen stand er da wie ein Riese. An beiden Seiten des Stammes hatten sich dicke, knotige Schwämme gebildet, die im Lauf vieler Jahre von Moos überzogen und verholzt waren. Zwei dieser Wucherungen traten besonders auffällig hervor. Ihre Formen erinnerten Jan an Hände. Hände mit verkrüppelten, bedrohlich gespreizten Fingern.
»Klauenhände.«
»Wie bitte?« Rauh sah ihn verwundert an.
Jan ging um den Baum herum, besah sich von dort den Stamm und nickte.
»Ein Bekannter, Hubert Amstner, hat mir vor kurzem von Alfreds Wahnvorstellungen erzählt«, sagte er zu Rauh, der sich nun
Weitere Kostenlose Bücher