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Kalte Stille - Kalte Stille

Titel: Kalte Stille - Kalte Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wulf Dorn
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GRUNDIG-Schriftzugs und steckte es dann zurück in seine Jacke.
    Erst in diesem Moment bemerkte er, dass er nicht allein war. Marenburg musste ihn gesehen haben und ihm gefolgt sein.
    »Ist für uns beide ein schlimmer Ort«, sagte er. »Und trotzdem zieht es uns hierher.«
    »Das muss endlich ein Ende haben«, sagte Jan und rieb sich mit dem Jackenärmel die Tränen aus den Augen. Er schämte sich, mit seinen fünfunddreißig Jahren hier herumzusitzen und zu weinen wie ein Kind, aber er fühlte auch die Erleichterung, die es ihm verschaffte.
    »Ich kann so nicht mehr weitermachen, Rudi. Ich habe meinen Job verloren, weil mich die Suche nach Erklärungen zerfressen hat. Meine Frau hat sich von mir getrennt, weil sie es nicht mehr mit mir ausgehalten hat, und ich kann es ihr nicht verdenken. Ich halte es ja selbst nicht mehr mit mir aus.«
    »Weißt du«, sagte Marenburg und ließ sich neben ihm nieder, »es gibt Millionen von Binsenweisheiten in der Art von die Zeit heilt alle Wunden und so weiter. Das ist alles gequirlte Scheiße, Junge. Der Schmerz lässt nie nach. Genauso wenig wie man aufhören wird, nach dem Grund für etwas zu suchen, das einen quält.« Marenburg sah Jan in die Augen und lächelte tröstlich. »Aber man muss aufpassen, dass man dabei noch seine fünf Sinne beisammenhält. Wahrscheinlich wirst du nie erfahren, was aus deinem Bruder geworden ist. Ebenso wie ich vielleicht nie den Grund wissen werde, warum mein Mädchen hier sterben musste. Aber was man lernen kann, ist, mit dem Schmerz zu leben. Das klappt nicht
immer, aber mit ein wenig Geduld wird es im Lauf der Jahre einfacher.«
    Jan ließ diese Worte auf sich wirken, dann sagte er: »Ich werde eine Therapie machen. Allein pack ich es nicht mehr.«
    Marenburg rückte von ihm ab, dann stand er auf.
    »Eine Therapie«, wiederholte er, und in seine quäkende Kermit-Stimme mischte sich gelinder Spott. »Junge, ich will es dir nicht verderben, du wirst es dir bestimmt gut überlegt haben. Vielleicht hilft es bei dir, aber ich habe da meine Zweifel. Würden solche Therapien wirklich nützen, wäre meine Alexandra noch am Leben. Auch sie hat eine Therapie gemacht«, er spie das Wort fast aus, »ach, was sage ich, ein ganzes Dutzend. Und hat es etwas geholfen?«
    »Das war etwas anderes, Rudi. Alexandra war schwer krank. Nach allem, was ich weiß, litt sie unter den Folgen einer Hirnstoffwechselstörung. Das kann man nicht so einfach therapieren. Die Medikamente können es allenfalls lindern.«
    Marenburg trat nach einem kleinen Stein, der daraufhin über den Betonweg schlitterte.
    »Nimm es nicht persönlich, Jan, aber ich halte verdammt wenig von diesem Psychiatrie-Hokuspokus. Ihr Psychiater tappt doch bloß im Dunkeln, und wenn ihr nicht mehr weiterwisst, dann ist es eben der Stoffwechsel im Gehirn oder so etwas. Nichts gegen deinen Vater, aber wenn du mich fragst, dann haben die mein Mädchen damals nur noch verrückter gemacht. Jedes Mal, wenn sie aus dieser verfluchten Klinik entlassen worden ist, war sie noch merkwürdiger, noch unnahbarer. Und dann läuft sie wie eine Besessene hierher und stirbt.« Er sah sich zu Jan um, und nun schimmerten auch in seinen
Augen Tränen. »Ich will dir deine Therapie nicht ausreden, aber glaub einem alten Mann: Mit seinen Gespenstern muss jeder allein zurechtkommen. Die kann kein anderer für dich vertreiben, und erst recht helfen keine Pillen. Hab Geduld mit dir selbst, dann schaffst du es. Du hast einen Neuanfang gemacht, und ich bin mir sicher, dass es dafür keinen besseren Ort gibt, als den, an dem alles angefangen hat.«
    »Vielleicht hast du Recht«, sagte Jan und stocherte mit der Schuhspitze im Boden. »Aber wenn man den richtigen Weg für sich selbst finden will, sollte man nichts unversucht lassen.«
    »Amen«, sagte Marenburg und lächelte. »Was hältst du jetzt von einem schönen kühlen Fahlenberger Schlossquellbier? Wenn man genug davon intus hat, um den Namen nicht mehr aussprechen zu können, lassen auch die Schmerzen in der Brust nach.«
    Jan lehnte dankend ab. Alkohol würde seine Niedergeschlagenheit nur verstärken. Marenburg zuckte mit den Schultern. Er machte Anstalten, zurück zum Haus zu gehen, doch Jan hielt ihn zurück: »Wie hast du das vorhin gemeint, man hätte Alexandra in der Klinik nur noch verrückter gemacht?«
    »So, wie ich es gesagt habe. Ich weiß nicht, was die da drin mit ihr angestellt haben, aber irgendwas hat sie dazu getrieben, mit kaum einem Fetzen am Leib in

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