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Kalte Stille - Kalte Stille

Titel: Kalte Stille - Kalte Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wulf Dorn
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dieselbe hirnverbrannte Idee kamen wie er? Vielleicht war es ein Jogger, der eine etwas ungewöhnliche Tageszeit für sein Training gewählt hatte.
    Wenn er jetzt vor diesem Jemand davonlief, würde er nur auffallen. Und da sich in dieser Gegend Hinz und Kunz kannten, würden Jans Eltern spätestens am nächsten Morgen von den unerlaubten nächtlichen Streifzügen ihres Sprösslings erfahren. Dann würde es Ärger geben. Besser, er versteckte sich und wartete ab, bis der andere an ihm vorbei war.
    Jan zog sich hinter eine Eiche zurück. Er versuchte, so ruhig wie möglich zu atmen, damit ihn seine Atemwolke nicht verriet, doch nach dem kurzen Spurt fiel ihm das nicht so leicht. Trotzdem konnte Jan nicht anders, als hinter dem Stamm hervorzulugen und nachzusehen, wer der andere war.
    Im schwachen Licht der Parkleuchten war die Gestalt nicht auszumachen. Die Person musste noch ein Stück von der Wegbiegung entfernt sein. Sie hatte ihre Schritte verlangsamt. Jan konnte das Knirschen im Schnee hören.
    Jan fuhr zusammen. Rauh sah ihn aufmerksam an.
    »Was siehst du, Jan?«

    Jan wand sich in seinem Sessel, als würde ihn ein schlimmer Alptraum heimsuchen.
    »Einen Schatten«, stieß er hervor. »Er wird immer länger und länger.«
    »Kannst du sehen, zu wem dieser Schatten gehört?«
    Jan stöhnte und verzog das Gesicht. Seine Hände waren zu Fäusten geballt.
    »Ich hab das nicht gewollt«, keuchte er. »Wirklich, ich hab das nicht gewollt!«
    »Wer ist da mit dir im Park, Jan?«
    Mehrmals warf Jan den Kopf hin und her, als müsse er sich gegen irgendetwas wehren.
    »Es gibt keinen Grund, sich zu fürchten, Jan. Alles, was du jetzt durchlebst, ist bereits vorbei. Sag mir, wer bei dir ist. Kennst du diese Person?«
    Jan nickte. »Ja, ich kenne ihn.«

10
    Carla machte sich Sorgen. Seit dem Telefonat waren mehr als sieben Stunden vergangen. Immer wieder hatte sie versucht, ihn zurückzurufen, nachdem er einfach aufgelegt hatte.
    Sie war bei seiner Wohnung gewesen, hatte geklingelt und geklopft und gehofft, hinter einem der dunklen Fenster würde schließlich doch noch das Licht angehen. Vergebens. Dann war sie wieder nach Hause gefahren. Ihn zu suchen würde wenig Sinn haben. Er wollte nach der schrecklichen Nachricht ganz offensichtlich allein sein, und sie musste es nun auch.

    Sie beugte sich über das Waschbecken und warf sich kaltes Wasser ins Gesicht. Der Jetlag machte ihr zu schaffen, und obendrein waren ihre Augen vom Weinen geschwollen. Himmel, sie sah schrecklich aus.
    Heute Morgen hatte sie nach fast dreißig Stunden Flugzeit endlich wieder deutschen Boden betreten. Sie hatte sich wie gerädert gefühlt. Aber das war im Vergleich zu jetzt nur ein Klacks gewesen. Alles hatte sich verändert. Ihr Leben war zum Alptraum geworden.
    Gleich nach ihrer Rückkehr aus Neuseeland war sie in die Redaktion gefahren. Wie immer hatte sie ihre Fotos und den Artikel, den sie auf dem Rückweg geschrieben hatte, persönlich abgeliefert. Was das betraf, misstraute sie E-Mails, die nicht immer dort ankamen, wo sie ankommen sollten.
    Nun wünschte sie sich, sie wäre nicht in die Redaktion gefahren. Dann wäre ihr Zeit geblieben, sich auszuschlafen, und sie wäre in besserer Verfassung für die schlimme Nachricht gewesen. Doch während sie abermals ihr Gesicht in das kalte Wasser tauchte, wurde ihr klar, dass sie sich etwas vormachte. Es spielte keine Rolle, wann sie davon erfahren hätte. So oder so, es war ein brutaler Faustschlag ins Gesicht, auf den man sich nie und nimmer hätte vorbereiten können.
    Nathalie war tot. Sie war von der Fußgängerbrücke gesprungen, etwa zur gleichen Zeit, als Carlas Zubringermaschine zum Landeanflug auf den Stuttgarter Flughafen angesetzt hatte. Und als Carla schließlich den Fahlenberger Bahnhof erreicht hatte, floss auf der Schnellstraße bereits wieder der Verkehr, und mit dem Neuschnee waren auch die letzten Spuren des Unglücks beseitigt worden.
    Erschöpft ging Carla aus dem Bad in ihr Schlafzimmer. Ihr war schwindlig, und in ihrem Kopf tobte ein
Orkan wirrer Gedankenfetzen. Sie musste sich dringend ausruhen. Doch als sie ihr Bett sah, war ihr klar, dass sie dort keine Ruhe finden würde. Nicht in diesem Bett, in dem Nathalie unzählige Male neben ihr übernachtet hatte, nachdem sie gemeinsam durch die Gemeinde gezogen waren. Nicht in diesem Bett, in dem Nathalie ihr eines Nachts ihr Geheimnis anvertraut hatte.
    Das ist der Grund, warum ich bin, wie ich bin, hörte Carla die Stimme ihrer

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