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Kalte Stille - Kalte Stille

Titel: Kalte Stille - Kalte Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wulf Dorn
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war anzusehen, dass er nun seinen Entschluss bereute, Jan gefolgt zu sein.
    »Was ist?«, fragte Jan. »Willst du noch immer dabei sein?«

    Sven nickte nur, und Jan hatte nichts anderes erwartet. Allein wäre Sven jetzt sicherlich nicht mehr durch den Park zurück zum Haus gelaufen.
    »Dann lass uns anfangen«, sagte Jan.
    Sie setzten sich auf die Bank. Sven rückte dicht an seinen Bruder heran.
    »Warum machen wir das eigentlich nicht daheim, in deinem Zimmer?«, fragte er kleinlaut. »Der Typ, von dem du erzählt hast, ist doch auch nicht nachts durch die Gegend gelaufen.«
    »Ja, schon«, sagte Jan, der diese Möglichkeit selbst schon in Erwägung gezogen gehabt hatte. »Aber ich glaube, dass Alexandras Geist noch immer hier ist. Sie ist ja noch nicht beerdigt worden. Also, pass auf. Du bleibst ganz ruhig sitzen und rührst dich nicht. Keinen Mucks, verstanden?«
    Die Augen noch immer weit aufgerissen, presste Sven die Lippen zusammen und nickte.
    »Gut, dann geht es jetzt los.«
    Jan räusperte sich. Irgendwie kam es ihm nun schon ein wenig albern vor, und er fürchtete, er könne sich vor seinem kleinen Bruder zum Idioten machen. Aber dann dachte er an Jürgenson. Er spürte wieder die Begeisterung, die ihn ergriffen hatte, als er von den Experimenten des Schweden gelesen hatte. Das gab ihm die nötige Zuversicht zurück.
    Jan stand auf, schloss die Augen und konzentrierte sich. Dann stellte er Alexandra im Geiste die Fragen, die ihm keine Ruhe ließen.
    Er wollte wissen, was ihr so furchtbare Angst gemacht habe und warum sie vor ihm weggelaufen sei. Sie musste ihn doch erkannt haben, oder nicht?
    Jan drückte die Aufnahmetaste des Diktiergeräts. Das
kleine rote Lämpchen leuchtete auf. Jan hielt sich den Zeigefinger vor den Mund und bedeutete Sven, keinen Laut von sich zu geben. Dann warteten sie.
    Die Kassette hatte eine Spieldauer von fünfzehn Minuten pro Seite. Das war keine lange Zeit, aber wenn man stillhalten musste, müde war und zudem noch fror, konnte sich eine Viertelstunde zu einer Ewigkeit ausdehnen.
    Immer wieder beugte sich Jan zu dem Gerät hinunter, um zu sehen, wie viel von dem Band schon abgelaufen war. Doch obwohl die Parkbank direkt unter einer Lampe stand, lag das Kassettenfach des Diktiergeräts im Dunkeln, und Jan konnte nichts erkennen.
    Zu allem Überfluss fing es nun auch noch zu schneien an. Dicke Flocken fielen vom Himmel, zuerst nur vereinzelt, dann immer dichter. Es würde nicht lange dauern, ehe sich eine schwere weiße Neuschneedecke auf den Park gelegt haben würde.
    Und als sei das nicht genug, musste Jan mal. Und zwar dringend. Dieser verdammte Tee, mit dem ihn seine Mutter den ganzen Tag über abgefüllt hatte, weil es angeblich wichtig war, dass jemand, der einen Schock erlitten hatte, viel Flüssigkeit zu sich nahm. Wahrscheinlich lag der wahre Grund darin, dass man deshalb so häufig zum Pinkeln musste, dass man gar keine Zeit mehr hatte, über diesen Schock nachzudenken.
    »Wann gehen wir endlich wieder heim?«
    Sven hatte nicht länger stillhalten können. In diesem Moment schnappte die Aufnahmetaste zurück. Die erste Seite war abgelaufen.
    »Nur noch die zweite Seite«, sagte Jan.
    »Och, Mann«, maulte Sven. »So lang kann die doch gar nicht für ihre Antwort brauchen. Und überhaupt, das klappt sowieso nicht. Gespenster gibt’s doch gar nicht.«
    »Es hat dich niemand gezwungen, mitzukommen«, gab Jan zurück, während er die Kassette umdrehte. »Du wolltest es so. Also hör auf zu jammern. Die Seite lassen wir jetzt noch durchlaufen, und dann gehen wir heim.«
    Sven machte einen Schmollmund und sah verdrossen auf seine gefütterten Stiefel. »Na gut, aber dann gehen wir wirklich. Sonst schneit’s uns hier noch ein.«
    »Versprochen«, sagte Jan. »Ich geh nur mal schnell hinter den Baum. Lass das Band so lange laufen, okay?«
    Erschrocken sah Sven zu ihm auf.
    »He, ich komm mit!«
    »Willst du mir etwa beim Pinkeln zusehen?«
    Es stand Sven ins Gesicht geschrieben, dass er lieber seinem Bruder beim Pinkeln zugesehen hätte, als allein auf dieser Parkbank zu sitzen, während neben ihm ein Band lief, das vielleicht die Stimme eines Gespenstes aufzeichnete. Trotzdem sagte er mit einer Stimme, die besonders erwachsen klingen sollte: »Nee, ich bin doch nicht schwul.« Das war gegenwärtig die angesagte Redewendung unter harten Jungs.
    »Alles klar«, sagte Jan, der nun keine Minute länger warten konnte, »du darfst dafür auf Aufnahme drücken. Aber verbock’s

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