Kalte Stille - Kalte Stille
dagegen ausgesprochen, aber Jans Vater musste sie irgendwann davon überzeugt haben, dass ein Lexikon der paranormalen Phänomene keine bleibenden Schäden bei ihrem Sohn hinterlassen würde. Obwohl sie schließlich klein beigegeben hatte, war seine Mutter nach wie vor der Ansicht, dass das ganze Thema reiner Unsinn sei.
Jan sah das anders. Sicher, es wurden Dinge in dem Buch beschrieben, die einfach unglaublich waren - etwa das Phänomen der Levitation, bei der Menschen ohne jegliche Hilfsmittel schwebten oder über weite Strecken fliegen konnten. Das wollte Jan nicht so recht glauben. Nein, an manchen Dingen musste man zweifeln, aber nicht an allen.
So konnte er sich durchaus vorstellen, dass es Leben
auf anderen Planeten gab und dass diese anderen Wesen vielleicht schon einmal auf der Erde zu Besuch gewesen waren. Oder dass etwas aus grauer Vorzeit in den Tiefen des Loch Ness überlebt haben könnte.
Aber am meisten faszinierte ihn das Kapitel, das er gerade las - über die atemberaubende Entdeckung eines Schweden namens Friedrich Jürgenson. Dieses Kapitel brachte Jan auf eine Idee, auf die nur ein Zwölfjähriger mit blühender Fantasie kommen konnte. Und als einige Stunden später Jans Vater nach Hause kam, war die Idee bereits zu einem fertigen Plan gereift.
»Was tust du jetzt?«, fragte Rauh.
Jan hatte eine Weile geschwiegen. Er kauerte im Sessel und hatte die Beine an die Brust gezogen. Er hielt sie umklammert, als sei ihm kalt.
»Ich warte.«
»Worauf wartest du?«
»Auf meinen Vater. Dass er endlich aus seinem Arbeitszimmer kommt. Ich muss da rein, weißt du.«
»Und warum musst du in das Arbeitszimmer?«
Jan wandte Rauh das Gesicht zu. Er hatte jetzt die Augen geöffnet, schien aber durch Rauh hindurchzusehen. Nun lächelte er verschwörerisch und senkte die Stimme.
»Weil sonst mein Plan nicht klappt.«
»Was ist das für ein Plan, Jan? Erzähl mir davon.«
»Aber du darfst ihn keinem verraten.«
»Versprochen.«
»Wirklich?«
»Großes Ehrenwort.«
Es war kurz nach Mitternacht, als sein Vater endlich aus dem Arbeitszimmer kam. Mit angewinkelten Beinen
hockte Jan auf seinem Bett und lauschte in die nächtliche Stille des Hauses hinein. Sven und seine Mutter schliefen längst.
Es hatte eine gereizte Stimmung geherrscht. Nachdem Bernhard Forstner nach Hause gekommen war, hatte seine Frau ihm zugeredet, er solle sich die Sache nicht so zu Herzen nehmen. Wenn er sich weiter derart in den Fall hineinsteigere, werde er sich noch ein Magengeschwür holen. Er solle jetzt erst einmal essen. Doch Bernhard Forstner hatte keinen Appetit und zog sich stattdessen mürrisch in sein Arbeitszimmer zurück. Irgendwann hatte Angelika Forstner an seine Tür geklopft, um ihm mitzuteilen, dass sie jetzt zu Bett gehe.
Seither wartete Jan im Dunkeln. Er hatte nicht gewagt, das Licht anzulassen, da man sonst den hellen Türspalt gesehen hätte. Auf keinen Fall wollte er, dass seine Mutter oder sein Vater noch einmal nach ihm sahen. Denn dann hätten sie bemerkt, dass er noch immer seine Straßenkleider trug.
Jan konnte jetzt hören, wie sein Vater die Tür zum Arbeitszimmer zuzog. Angespannt wartete er auf das Drehen des Schlüssels. In dem Fall hätte er seinen Plan begraben können. Doch statt des Schlosses hörte er die Schritte seines Vaters auf den Steinfliesen im Erdgeschoss. Gleich darauf vernahm Jan das Klappern der Flaschen in der Kühlschranktür.
Jan seufzte. Wenn sein Vater nun doch noch Lust auf die Reste des Abendessens bekommen hatte, würde er sich noch eine Zeit lang gedulden müssen. Er konnte hören, wie sein Vater sich etwas in ein Glas eingoss, nach einer kurzen Pause noch einmal, und dann wurde das Glas im Spülbecken ausgewaschen. Kurz drauf stapfte Bernhard Forstner die Treppe hoch. Jan schlüpfte vorsorglich
unter die Decke und wartete, ob sein Vater noch einen Blick zu ihm ins Zimmer werfen würde. Doch dann hörte er die Tür des Elternschlafzimmers, die vorsichtig geschlossen wurde.
Also gut, dachte Jan. Es kann losgehen.
Er stieg aus dem Bett, zählte im Geiste bis fünfzig und trat dann aus dem Zimmer. Der Spalt unter der Schlafzimmertür war dunkel.
Vorsichtig und jedes Geräusch vermeidend, schlich Jan die Treppe zum Erdgeschoss hinunter. Er war schon fast unten angekommen, als er von oben ein leises Knarren hörte. Eine Tür ging auf. Jan wandte sich erschrocken um. Oben blieb es dunkel.
Dann war ein Tapsen zu hören, und Rufus erschien am Treppenabsatz. Erleichtert
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