Kalte Stille - Kalte Stille
atmete Jan auf und machte dem Vierbeiner Zeichen, wieder dahin zurückzugehen, wo er hergekommen war. Rufus schaute ihn nur verständnislos an, gähnte und ließ sich auf den Hinterläufen nieder.
Jan setzte seinen Weg fort, wobei er darauf achtete, dass Rufus ihm nicht folgte. Für Rufus war das Arbeitszimmer tabu, was auch für Jan und Sven galt. Aber wie auch für die Jungen hatten Tabus für Rufus eine unwiderstehliche Anziehungskraft - und wenn man sich nicht vorsah, war er, schwups, schon dort, wo er nicht hindurfte.
Diesmal blieb Rufus jedoch, wo er war, und Jan schlich in das Arbeitszimmer. Auf dem Schreibtisch herrschte ein heilloses Durcheinander aus Papieren, Ordnern und Fachbüchern, ebenso auf den beiden Stühlen, die neben dem Tisch standen.
Und ich soll immer mein Zimmer aufräumen, dachte Jan und besah sich das Chaos. Die Schreibtischlade
klemmte, doch Jan brauchte sie nicht weit herauszuziehen. Was er suchte, lag ganz vorn, das wusste er sicher.
Fahles Mondlicht fiel durch das Fenster in seinem Rücken und erhellte das gesuchte Objekt. Es war ein Diktiergerät der Marke Grundig - eine Stenorette 2000 , wie der Aufdruck an der Unterseite verriet. Jan nahm es aus der Schublade und ließ die Klappe für die Mikrokassette aufschnappen. Sie war leer.
Mist!
Ungeduldig durchsuchte Jan die Schublade. Er durfte dabei nichts durcheinanderbringen, denn im Gegensatz zum Drunter und Drüber auf dem Schreibtisch herrschte hier eine penible Ordnung. Schließlich fand Jan ein Päckchen mit Leerkassetten, das - wie sollte es auch anders sein - im hintersten Winkel lag.
Er legte eine Kassette ein und verstaute das Diktiergerät in seiner Hosentasche. Das Päckchen legte er an seinen Platz zurück, schob die schwere Lade zu und schlich sich aus dem Zimmer. Nun hoffte er nur, dass sein Vater das Gerät nicht ausgerechnet morgen früh brauchen würde.
Zurück auf dem Gang sah Jan die Treppe hoch. Rufus war nicht mehr da. Wahrscheinlich hatte er sich wieder zu Sven ins Zimmer gelegt, nachdem er festgestellt hatte, dass sich bei Jan nichts Spektakuläres zutrug.
Gut so!
Jan schnappte sich Anorak und Handschuhe von der Garderobe, schlüpfte eilig in seine Moonboots - die er zwar nicht leiden konnte, weil sie so klobig waren, aber wenigstens waren sie warm - und huschte dann aus dem Haus.
Eisige Kälte schlug ihm entgegen. Jan zog den Reißverschluss seines Anoraks hoch, bis der Kragen Mund
und Nase bedeckte. Dann marschierte er los. Irgendwo bellte ein Hund, und Jan hörte einen herannahenden Dieselmotor. Doch noch bevor der Lichtkegel des Wagens um die Kurve gekrochen war, befand sich Jan bereits auf dem Weg, der in den Park führte.
Es war ein seltsames Gefühl, bei dieser Dunkelheit ohne Rufus unterwegs zu sein. Nicht, dass Rufus je einen besonders guten Wachhund abgegeben hätte, aber er hätte ihm wenigstens das Gefühl gegeben, nicht allein zu sein. Besonders jetzt, wo Jan zu einem Ort unterwegs war, an dem vor noch nicht einmal vierundzwanzig Stunden ein Mensch gestorben war.
Wenn Jan ehrlich war, dann hatte er die Hosen gestrichen voll. Aber Rufus hätte ihn bei seinem Vorhaben nur gestört. Er brauchte absolute Stille, wenn es funktionieren sollte. Die »Geräuschemissionen« - so hieß das in dem Buch -, die Rufus zweifellos gemacht hätte, hätten Jans Versuch womöglich scheitern lassen.
Trotzdem war ihm nicht wohl in seiner Haut. Er fühlte sich einerseits allein und andererseits auch wieder nicht. Irgendwie … ja, irgendwie war ihm, als würde er verfolgt.
Abrupt blieb Jan stehen und sah sich um. Der Weg zum Park lag einsam und verlassen im Licht der Straßenlampen.
Da war niemand. Natürlich war da niemand. Wer außer ihm sollte schon auf die hirnverbrannte Idee kommen, mitten in der Nacht und bei dieser Eiseskälte einen Spaziergang in den Park zu machen? Noch dazu, wo der Wetterdienst für diese Nacht starke Schneefälle vorhergesagt hatte. Nein, heute Nacht würde der Park ihm allein gehören. Ihm und …
Da! Ein Geräusch! Schritte auf gefrorenem Schnee.
Jan war sich hundertprozentig sicher. Sie kamen auf ihn zu. Jeder Irrtum ausgeschlossen.
Jan hatte schon fast den Park erreicht. Nun lief er los, doch schon nach wenigen Metern verlangsamte er seinen Schritt wieder.
Was mache ich da eigentlich? Vor wem laufe ich davon?
Eine gute Frage. Niemand konnte ahnen, dass er hier war. Wer sollte ihn verfolgen? War es nicht viel wahrscheinlicher, dass es eben doch Leute gab, die nachts auf
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