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Kalte Stille - Kalte Stille

Titel: Kalte Stille - Kalte Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wulf Dorn
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erwachsen, und er wusste, was nun geschehen würde. Sein Vater würde das blecherne Garagentor öffnen und den Motor seines gelben Passats starten. Dann würde er rückwärts aus der Hofeinfahrt heraussetzen und dabei den Nachbarzaun streifen, ohne es zu bemerken. Und dann würde er mit überhöhter Geschwindigkeit
davonfahren und im wilden Schneetreiben für immer verschwinden.
    Jan würde ihn nie lebend wiedersehen. Alles, was ihm bleiben würde, war das Sterbebild nach der Beerdigung und die Frage, was Bernhard Forstner veranlasst hatte, in den frühen Morgenstunden mit unbekanntem Ziel aufzubrechen und wenig später beim Zusammenprall mit einem Baumstamm sein Leben zu verlieren.
    Das alles wusste Jan, weil das, was er gerade durchlebte, mehr war als nur ein Traum. Doch vielleicht gab es nun auch die Möglichkeit, dies alles ungeschehen zu machen. Das hoffte sein Traum-Ich - ebenso wie es hoffte, zu erfahren, ob Bernhard Forstners überstürzter Aufbruch wirklich mit Svens Verschwinden in Zusammenhang stand, wie Jan es in all den Jahren immer vermutet hatte.
    Also sprang Jan von seinem Versteck hinter dem Treppengeländer auf und rannte die Treppe hinab.
    Das Wohnzimmer war leer. Eigentlich hätte dort seine Mutter sitzen oder liegen müssen, schlafend oder zumindest benebelt von den starken Medikamenten, die man ihr verabreicht hatte. Doch da war niemand, und das Wohnzimmer sah aus, als sei es seit Jahren nicht mehr betreten worden. Staub lag auf den Möbeln, durch eine Scheibe der großen Glasvitrine zog sich ein langer Sprung, und der Couchtisch war voller Rattenkot. Hier musste seit Jahren niemand mehr gewesen sein.
    Jan stutzte. Das war unmöglich. Vor ein paar Minuten hatte er hier noch die Stimme seiner Mutter gehört.
    Draußen startete ein Motor. Der Passat! Mit einem Satz war Jan bei der Haustür. Er riss die Tür auf und rannte hinaus ins Freie.
    »Nein! Warte!«

    Doch seine Schreie waren vergeblich. Er sah noch, wie die roten Rücklichter des Wagens von der Dunkelheit verschluckt wurden, dann umfing ihn eisige Stille. So realistisch dieser Traum auch sein mochte, er änderte nichts an der Tatsache, dass Bernhard Forstner seinem Tod entgegenraste.
    Jan schlug die Hände vors Gesicht und schrie. Er schrie wie von Sinnen, ließ seiner Verzweiflung freien Lauf.
    Da legte sich eine Hand auf seine Schulter, und Jan wirbelte herum. Erschrocken sah er in das Gesicht eines Mannes, der etwa Ende zwanzig sein mochte. Er sah Jan aus traurigen Augen an. Augen, die Jan sofort wiedererkannte, auch wenn sie bei ihrer letzten Begegnung noch Kinderaugen gewesen waren.
    »Sven?«
    Der Mann nickte. »Hallo, großer Bruder.«
    Hätte Jan auch nur einen Moment daran gezweifelt, dass er dies alles nur träumte, spätestens jetzt wäre er sich sicher gewesen, dass dies nie und nimmer die Realität sein konnte.
    »Mein armer großer Bruder«, flüsterte Sven. Sanft berührte er Jans Gesicht und wischte ihm die Tränen fort. »Die Vergangenheit ist unabänderlich. Merk dir das, denn es ist eine Tatsache, selbst in deinen Träumen.«
    »Aber … aber du bist tot!«
    »Wenn du weiter nach mir suchen willst«, flüsterte Sven, »dann denk an eins: Schenke nie Gerüchten Glauben.«

15
    Im wirklichen Leben hieß sie Dunja Koslowski, doch wenn sie ihrem Job im Love Palace nachging, nannte sie sich Mandy. Als angehende Schauspielerin brauchte sie schließlich einen guten Künstlernamen, der sich nicht nach dem einfachen Bauernmädchen aus der Ukraine anhörte, das sie einmal gewesen war. Und schon damals hatte für sie festgestanden, dass sie einmal Mandy heißen würde - so wie das Mädchen, das Barry Manilow vor vielen Jahren besungen hatte.
    Was den Nachnamen betraf, war sie sich noch nicht sicher, aber sie würde sich zu gegebener Zeit von einem Profi beraten lassen - jemandem, der wusste, wie man ein wirklicher Star wurde. Bis dahin würde sie Mandy sein, einfach nur Mandy.
    Fast alle ihre Freier nannten sie bei diesem Namen. Nur einer sagte Carmen zu ihr. Der große Unbekannte, der ihr seinen Namen nicht verraten wollte. Er war einer ihrer wenigen Stammfreier.
    »Carmen« war die zweite große Hauptrolle ihres Lebens. Die erste hatte sie in einem Pornostreifen gespielt, für den acht Montagearbeiter aus Düsseldorf sie bezahlt hatten. Sie war die Hauptdarstellerin bei einem Gangbang in einem schäbigen Hotelzimmer gewesen. Auch wenn dazu aus ihrer Sicht keine großen schauspielerischen Qualitäten gehörten, fand sie dennoch,

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