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Kalte Stille - Kalte Stille

Titel: Kalte Stille - Kalte Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wulf Dorn
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dass sie überzeugend gewesen war.
    Die Rolle der Carmen war da weit anspruchsvoller. Der große Unbekannte hatte nicht einfach ein Flittchen gesucht, das er bumsen konnte, so wie diese Kerle damals. Er hatte sie sich gezielt ausgesucht - sie gecastet , wie man das nannte. Zwar hatte er Dunja nie seine Auswahlkriterien
verraten - wie er überhaupt nicht viel mit ihr sprach -, aber sie war sich immer noch sicher, dass es um mehr als nur ihren Körper gegangen war. Er musste ihr Talent erahnt haben.
    Letztlich ausschlaggebend dürften allerdings ihre Haare gewesen sein, da wäre sie jede Wette eingegangen. Natürlich legte sie viel Wert auf ihr Äußeres, und ihr Körper war makellos: lange schlanke Beine, ein straffer Po und feste Brüste - nicht allzu groß, aber groß genug, dass sie auf Männeraugen magnetisch wirkten. Selbstverständlich fanden sich an ihr keinerlei Fettpölsterchen. Sie ernährte sich streng nach einer Star-Diät, von der sie gelesen hatte. Madonna schwor darauf, ebenso wie Penélope Cruz und Cameron Diaz. Aber es waren vor allem ihre langen kastanienbraunen Haare, die das Besondere an ihr ausmachten. Sie waren, wenn man so wollte, ihr Markenzeichen. So wie die wasserstoffblonde Frisur der Monroe oder die Lockenmähne von Julia Roberts.
    Dunja pflegte ihr Haar mit teuren Shampoos und Glanzpackungen und hoffte, dass sich das kleine Vermögen, das sie in ihre Frisur investierte, irgendwann auszahlen würde. Der große Unbekannte war der Erste, der dieses Haar wirklich zu schätzen wusste. Deshalb war sie seine Carmen geworden.
    Ihre Rolle bestand darin, sich mit weit gespreizten Beinen auf das große Bett in ihrem kleinen Studio zu legen, den linken Arm von sich gestreckt. Mit der rechten Hand hielt sie sich eine Pappmaske vors Gesicht, die er ihr jedes Mal mitbrachte.
    Die Maske war handgemacht, das konnte man sehen, und er hatte viel Sorgfalt darauf verwendet. Sie war mit dem Foto einer hübschen jungen Frau überzogen, und Dunja zweifelte keinen Augenblick daran, dass diese
Frau die wahre Carmen war - die Frau, deren Rolle sie zu spielen hatte.
    Gleich beim ersten Mal hatte sie ihn gefragt, wie diese Carmen denn sei, in welcher Tonlage sie sprach und wie sie sich bewegte. Gerade bei der Darstellung realer Persönlichkeiten war solches Wissen enorm wichtig, sagte Dunjas Leitfaden der Schauspielkunst , den sie in- und auswendig kannte. Doch er hatte sich bedeckt gehalten.
    »Du machst das schon richtig«, hatte er gesagt, woraufhin Dunja beschlossen hatte, sich auf ihr Einfühlungsvermögen zu verlassen und, so gut es ihr möglich war, zu improvisieren.
    Bei jedem seiner Besuche brachte er ihr neben der Maske auch einen Zettel mit. Auf ihm fand sich Dunjas Text. Er war mit der Hand geschrieben, in großen, gleichmäßigen Druckbuchstaben.
    Dunjas Aufgabe bestand darin, den Text auswendig zu lernen, während sie beide sich entkleideten. Danach musste sie ihm den Zettel zurückgeben und sich auf das Bett legen. Dann kam er zu ihr, drapierte ihr Haar über den blauen Satin des Spannbetttuchs und bedeckte ihren Bauch mit einem Zipfel der Bettdecke.
    Letzteres war der Teil, bei dem er improvisieren musste. Er mochte das glitzernde Piercing in ihrem Bauchnabel nicht - das wusste sie, da er sie bei ihrem ersten Treffen gefragt hatte, ob sie es herausnehmen könne, was sie hatte verneinen müssen.
    Sobald er mit ihrer Position zufrieden war und vor sie trat, schlüpfte sie in ihre Rolle. Dann spielte sie nicht nur Carmen, sie wurde zu Carmen und zeigte all ihr Können. Die Maske vors Gesicht haltend wie eine moretta im venezianischen Karneval, begann sie, ihren Text zu sprechen. Dabei legte sie in jedes ihrer Worte Gefühl
und Betonung, so dass es keinesfalls wie bloßes Aufsagen klang.
    »Ich bin jetzt bei dir«, hauchte sie. »Wir gehören für immer zusammen. Nichts kann uns trennen. Alles, was geschehen ist, sei dir verziehen. Alles ist verziehen.«
    Sie spürte, wie er in sie eindrang und sich in ihr bewegte. Zuerst sanft und zögernd, dann schneller und heftiger.
    »Ich liebe dich«, keuchte er. »Ich liebe dich, ich liebe dich, ich liebe dich.«
    »Ja, mein Geliebter«, flüsterte sie. »Liebe deine Königin.« Das war frei improvisiert, und sie fand, dass es toll klang. »Alles sei dir vergeben.«
    »Ich wollte … es … nicht«, schluchzte er.
    Dann kam er, und wie so oft begann er zu weinen. Doch dieses Mal schien es Dunja verzweifelter als sonst. Sie spürte, wie er aus ihr glitt, und legte

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