Kalte Stille - Kalte Stille
gewartet.«
»Sehe ich genauso«, pflichtete Marenburg ihm bei. »Das war ja auch der Grund, weshalb man anfänglich an eine Entführung geglaubt hatte. Zuerst der Anruf und dann Bernhards überstürzter Aufbruch.«
»Weißt du, Rudi, an die Theorie der Entführung konnte ich nie so recht glauben. Wer hätte schon auf die Idee kommen sollen, Sven zu entführen, und vor allem warum? Wir waren doch nicht reich. Klar, es ging uns gut, aber Vater war Alleinverdiener, hatte ein Haus abzuzahlen, und Großvater hatte ihm nicht gerade ein Vermögen hinterlassen. Jeder Kidnapper, der einigermaßen klar im Kopf ist, hätte vorher die Vermögensverhältnisse seines potenziellen Opfers recherchiert und festgestellt, dass es bei uns nicht viel zu holen gab. Aber selbst wenn es tatsächlich eine Entführung gewesen wäre und Vater losgefahren ist, um Sven freizubekommen, hätte er das Lösegeld bei sich haben müssen. Dazu hätte er aber auch warten müssen, bis die Bank öffnet. Und dann gibt es ja auch noch das, was man später von Sven gefunden hat. Seine …«
Jan brachte das Wort nicht über die Lippen. Stattdessen starrte er betrübt auf den Teppichläufer zu seinen Füßen.
Marenburg schürzte nachdenklich die Lippen. »Ich habe keinen blassen Schimmer, was er dort wollte, Jan. Wenn man die Straße weiterfährt, kommt man irgendwann nach Kössingen. Ich glaube aber kaum, dass Bernhard in dieses Kuhdorf wollte. Warum auch? In Kössingen könnte selbst der Papst noch lernen, was ein strenggläubiger Katholik ist. Da entführt doch keiner
einen kleinen Jungen.« Wie um seine Aussage zu bekräftigen, schüttelte er den Kopf. »Ansonsten gibt es auf halber Strecke nur den Waldparkplatz. Und da war nichts zu finden. Die Polizei hatte die ganze Umgebung abgesucht. Weiter drinnen im Fahlenberger Forst gibt es zwar ein paar Jagdhütten, die auch von den Waldarbeitern genutzt werden, aber dort hat man ebenfalls keine Spuren entdeckt. Im Winter ist da so gut wie nie jemand. Ich war damals dabei, als man den Wald durchkämmt hat.
Einige von uns hatten geglaubt, der Entführer hätte deinen Vater zum Parkplatz bestellt, und Bernhard sei auf dem Weg dorthin verunglückt. Hätte ja auch sein können. Bei dem heftigen Schneefall hätte man dort keine verwertbaren Spuren finden können.
Aber selbst wenn, der ganze Parkplatz ist da stets voller Reifenspuren. Ist noch immer ein beliebter Ort bei jungen Pärchen. Böse Zungen behaupten, mindestens die Hälfte aller Fahlenberger sei dort oben gezeugt worden. Wenn du da tagsüber spazieren gehst, findest du mehr Kondome als Pilze. Und wenn die Leidenschaft groß genug ist, ist selbst der kälteste Winter nie zu kalt.
Andererseits sind mir deine Argumente auch schon durch den Kopf gegangen. Nein, ich glaube ebenfalls nicht an eine Entführung. Und was deinen Vater betrifft, nun, da denke ich, was immer Bernhard dort oben wollte, die Antwort darauf hat er mit ins Grab genommen.«
»Ich fürchte, da hast du Recht«, musste Jan eingestehen. Wieder einmal kam er sich vor, als irrte er durch ein Labyrinth, in dem es nur Sackgassen gab.
Das Telefon klingelte. Marenburg machte eine Kopfbewegung zum Apparat. »Wird für dich sein.«
Jan stand auf, ging in den Flur und nahm den Hörer
ab. Am anderen Ende der Leitung meldete sich ein vertrautes Husten, gefolgt von einem »Na endlich«.
Am Telefon klang Hieronymus Liebwerks Stimme wie eine Kaffeemühle, die sehr lange nicht mehr in Betrieb gewesen war. »Dachte schon, Sie kommen heute gar nicht mehr heim.«
»Herr Liebwerk?«, fragte Jan. »Das ist eine Überraschung. Was gibt es denn so Dringendes?«
»Ich muss mit Ihnen reden. Aber nicht am Telefon. Können wir uns heute noch treffen?«
»In der Klinik?«
»Gott bewahre, nein«, kam es aus dem Hörer, gefolgt von einem bellenden Husten. »Kennen Sie das ›Spinnrad‹? Ist eine kleine Kneipe in der Innenstadt.«
Jan verzog das Gesicht zu einer missmutigen Grimasse. Er war müde und brauchte ein warmes Bad.
»Herr Liebwerk, was soll die Geheimniskrämerei? Sagen Sie mir einfach, was Sie auf dem Herzen haben.«
Wieder ein Husten, dann: »Es geht um das, worum Sie mich gebeten haben. Ich glaube, ich habe da etwas entdeckt. Also, was ist? Kommen Sie?«
Hatte er die Akte von Alexandra Marenburg nun doch gefunden? Warum tat er dann so geheimnisvoll?
»He, Doktor«, quäkte die Kaffeemühlenstimme aus dem Hörer. »Sind Sie noch dran?«
»Gut, ich komme.«
Ohne ein weiteres Wort legte
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