Kalte Stille - Kalte Stille
auf einen Latte macchiato in Pedros Eisdiele gehen. Sie würde Carla ein Loch über ihr Interview in Neuseeland in den Bauch fragen, und Carla würde ihr von dem sympathischen Meeresbiologen mit den tiefblauen Augen erzählen, der von Fahlenberg ans andere Ende der Welt gezogen war, um dort die Kreaturen der Tiefsee zu erforschen. Alles würde wie immer sein.
Nein, nichts wird mehr wie immer sein, dachte Carla und biss sich auf die Unterlippe, um die Tränen zurückzuhalten. Sie konnte und wollte es einfach nicht wahrhaben. Wieder musste sie an die Worte in der E-Mail denken: Es war keine Einbildung. Der Dämon aus meinem Kopf ist real!!!
Carla ging in die Küche. Sie war gerade groß genug
für eine Person, trotzdem hatten sie es immer wieder fertiggebracht, zu zweit darin zu kochen. Meist irgendwelche Gemüsevariationen oder Pasta mit selbst gemachtem Pesto und Salat.
Neben dem Wasserkocher machte Carla eine Entdeckung, die sie stutzen ließ. Sie sah Nathalies Lieblingsbecher mit dem Aufdruck KAFFEE - WAS SONST?, daneben lag eine offene Packung Kamillentee. Im Becher befand sich ein eingetrockneter Teebeutel.
Nathalie und Tee? Nathalie hatte Tee nicht ausstehen können, und schon gar nicht Kamillentee.
Carla ging weiter ins Schlafzimmer. Das Bett sah aus, als sei es gerade eben erst verlassen worden. Das Laken war zerknittert, die Bettdecke und der große Plüschelefant, der sonst neben dem Kopfkissen saß, lagen auf dem Boden.
So wäre Nathalie doch nie aus dem Haus gegangen. Nicht die Nathalie, die Carla gekannt hatte. Sie hätte zumindest die Bettdecke zurückgeschlagen und das Betttuch glattgestrichen. Und Dumbo - ihren Kuschellover , wie sie den Elefanten Carla gegenüber einmal genannt hatte, worauf sie beide die Vorzüge von Kuscheltieren gegenüber Männern besprochen hatten - hätte nicht den Rest des Tages auf dem Boden verbringen müssen. So etwas hätte es bei der ordnungsliebenden Nathalie nicht gegeben.
Noch während Carla versuchte, sich einen Reim darauf zu machen, bemerkte sie einen scharfen Geruch. Er kam aus dem Bad. Carla öffnete die Tür und knipste das Licht an. Der Gestank stieg aus der Toilettenschüssel auf. Als Carla den Deckel hochklappte, biss ihr scharfer Azetongeruch in die Nase. Sie sah die Unmengen von giftgrünem Toilettenreiniger, der in der weißen Schüssel getrocknet
war. Es stank derart penetrant, dass Carla automatisch die Spülung drückte.
Sie ging zurück auf den Flur und atmete durch. Dabei fiel ihr der Notizblock neben dem Telefon auf. Er war vollgekritzelt mit wirren Linien und Symbolen. Einerseits war das typisch Nathalie, dachte sie, und sah im Geiste ihre Freundin vor sich, wie sie beim Telefonieren gedankenverloren auf ihren Block malte. Doch irgendwie waren diese Muster alles andere als typisch für sie. Nathalie hatte sonst Kästchen ausgemalt, Blumen oder Strichmännchen gezeichnet oder Schriftzüge nachgezogen. Doch diese Zickzackmuster zeugten nicht von ausgeglichener Geistesabwesenheit. Sie wirkten wirr und aggressiv.
Einer Eingebung folgend, nahm Carla das Telefon aus der Ladestation und drückte die Taste für die Wahlwiederholung. Piepsend wurde eine Nummer angewählt, dann ertönte das Freizeichen. Nach dreimaligem Tuten meldete sich ein Anrufbeantworter.
»Guten Tag«, sagte eine sanfte Männerstimme. »Sie sind mit der Praxis für Allgemeinmedizin von Dr. Wolfgang Hesse verbunden.«
Die Stimme erklärte, dass Carla außerhalb der Sprechzeiten anrufe, und verwies sie in dringenden Fällen auf die Rufnummer des ärztlichen Notdienstes.
Verwundert legte Carla auf. Der Kamillentee, die Unordnung im Schlafzimmer, die Unmengen Toilettenreiniger und nun ein Anruf bei einem Allgemeinarzt.
Der Dämon aus meinem Kopf …
Auf einmal hielt Carla es nicht mehr aus. Ihr war, als würde ihr eine unsichtbare Hand die Kehle zudrücken. Sie musste sofort hier weg.
Carla schaltete alle Lichter aus und lief aus dem Haus
auf die Straße. Eisige Nachtluft empfing sie, und Carla saugte sie gierig in ihre Lungen. Gleich darauf ging es ihr wieder besser, die Panikattacke ließ nach.
Sie sah zu Nathalies Fenster hinauf. Was war nur mit ihr los gewesen? War sie krank gewesen?
Aber ein Anruf bei einem Allgemeinmediziner erklärte nicht den Satz aus der E-Mail, der Carla nicht mehr aus dem Kopf ging: Der Dämon aus meinem Kopf, er ist real!!!
Irgendetwas stimmte hier doch nicht.
22
Als er sie aus dem Haus kommen sah, presste er sich fester in die Rückenlehne, so
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