Kalte Stille - Kalte Stille
Gesicht.
»Na gut.« Liebwerk stieß den Rauch durch die Nase aus. »Es war die Akte von Nathalie Köppler. Sie wissen schon, die Kleine von der Brücke. In dem Protokoll, das ich zum Einsortieren bekommen habe, stand, es sei Selbstmord gewesen.«
Jan hatte das Gefühl, als habe ihm jemand einen Kübel mit Eiswürfeln in den Hemdkragen geschüttet. »Nathalie Köppler war Patientin der Waldklinik?«
»Ja, bis vor kurzem. Ist vor ein paar Wochen entlassen worden.« Mit einem Ausdruck tiefsten Bedauerns betrachtete Liebwerk die Zigarette zwischen seinen Fingern. »Wirklich schade, war noch ein ganz junges Ding. Sie wäre wohl besser noch eine Weile in der Klinik geblieben.«
Jan sah zu Marenburg. Ihre Blicke trafen sich. Beide schienen dasselbe zu denken. So wie die Dinge standen, gab es zwischen Alexandra und dieser Nathalie Köppler mehr Gemeinsamkeiten als nur die verblüffende physische Ähnlichkeit.
»Was ist, Jan? Glaubst du noch immer an einen Zufall?«
24
Jan mühte sich gerade damit ab, den Kaffeeautomaten in seinem Büro in Betrieb zu nehmen, als es klopfte. Ralf Steffens streckte den Kopf zur Tür herein.
»Dr. Forstner, kann ich Sie kurz sprechen?«
»Natürlich, kommen Sie rein«, sagte Jan, während er vergeblich versuchte, mit den auf Italienisch beschrifteten Schaltern des Geräts zurechtzukommen. Der Automat war ein Abschiedsgeschenk seines Vorgängers gewesen, wie Jan erfahren hatte, und sicherlich hatte das gute Stück eine ordentliche Stange Geld gekostet. Nur leider hatte ihm dieser Dr. Behrendt keine Bedienungsanleitung hinterlassen.
Dabei hätte Jan jetzt dringend einen starken Kaffee vertragen können. Nach dem Treffen mit Liebwerk hatte er in der vergangenen Nacht kaum Schlaf gefunden. Stundenlang hatte er sich im Bett hin und her gewälzt. Jedes Mal, wenn er die Augen geschlossen hatte, waren ihm die Gesichter von Alexandra Marenburg und Nathalie Köppler erschienen. Das eine starrte ihn durch eine Eisdecke an, das andere hingegen war so grausam entstellt, dass man es kaum noch als Gesicht erkennen konnte.
Ständig war ihm die Frage durch den Kopf gegangen, in welchem Zusammenhang der Tod der beiden jungen Frauen stand - ob es überhaupt einen Zusammenhang gab -, und selbst jetzt, wo er sich auf seine Arbeit hätte konzentrieren müssen, ließen ihm diese Gedanken keine Ruhe.
»Ich will Sie nicht lange stören«, sagte Ralf und schloss die Tür hinter sich. »Es ist nur …«
Jan gab den Versuch auf, das Gerät in Gang zu setzen. Er sah zu Ralf, und erst jetzt fiel ihm auf, wie schlecht der
junge Mann aussah. Sein Gesicht war verschwollen, und unter den Augen zeichneten sich dunkle Ringe ab.
»Wegen der Sache von vorgestern, Sie wissen schon … Vielen Dank.«
»Oh, keine Ursache.« Jan lächelte. »Solange Sie es nicht zur Gewohnheit werden lassen. Hatten Sie gestern frei?«
Der Blondschopf nickte.
»So wirklich fit sehen Sie allerdings noch nicht aus. Was ist los mit Ihnen?«
»Es ist nicht, wie Sie denken. Ich trinke normalerweise nicht so viel«, entgegnete Ralf und sah auf seine Schuhspitzen.
»Schon gut. Sie brauchen sich nicht zu rechtfertigen. Weshalb wollten Sie mich sprechen?«
Ralf sah auf. »Ich wollte Sie fragen, ob Sie heute Abend nach Dienstschluss Zeit hätten. Ich würde mich gern mit Ihnen unterhalten - ich und noch jemand.«
Jan sah ihn verwundert an. »Worum geht es?«
»Es ist … nun ja … es ist etwas Persönliches.«
»Brauchen Sie einen ärztlichen Rat? Den kann ich Ihnen auch hier geben.«
»Nein, nein.« Ralf steckte die Hände in die Taschen seines Kittels und trat nervös von einem Bein aufs andere. »Es ist wegen … wegen Nathalie Köppler. Sie waren doch bei Ihrem Unfall dabei.«
Jan sah ihn erstaunt an. »Sie haben sie gekannt?«
Ralf presste die Lippen aufeinander und nickte dann. In seinen Augen schimmerten Tränen.
»Sie … war meine Freundin.«
Jan fiel das Foto in Ralfs Geldbeutel wieder ein - Ralf, der eine junge Frau küsste, von der nur der Hinterkopf zu sehen war. Langes dunkles Haar.
In der Blutlache hat es wie schwarzer Seetang in tiefrotem Wasser ausgesehen.
Jan versuchte sein Schaudern zu verbergen. Ralf war sicherlich lange genug in seinem Beruf tätig, um sich ausmalen zu können, wie seine Freundin nach dem Sprung von der Brücke ausgesehen haben musste, aber er wollte ihm diese Vorstellung nicht noch durch seine Reaktion bestätigen.
»Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht viel dazu sagen, Ralf. Aber vielleicht
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