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Kalte Stille - Kalte Stille

Titel: Kalte Stille - Kalte Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wulf Dorn
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blieb neben Jan stehen.
    Der Akte zufolge war Nathalie Köppler wegen einer »Angsterkrankung infolge eines traumatischen Kindheitserlebnisses« behandelt worden. Sie war freiwillig in die Klinik gekommen und von Dr. Norbert Rauh auf Station 12 aufgenommen worden. Bei ihm hatte Nathalie an insgesamt fünfzehn Hypnotherapiesitzungen teilgenommen.
    Die Akte endete mit Rauhs Vermerk, Nathalie habe gute Fortschritte gemacht und die Therapie sei in jeder Hinsicht erfolgreich gewesen. Bereits nach wenigen Sitzungen sei die Angstsymptomatik kaum noch in Erscheinung getreten, und Nathalie habe sich zunehmend stabilisiert.
    Zum Zeitpunkt der Entlassung bezeichnete Rauh seine Patientin als symptomfrei. Er empfahl in seiner Schlussbemerkung eine ambulante psychotherapeutische Anschlussbehandlung nach dem Klinikaufenthalt.
    Jan runzelte die Stirn. So hörte sich doch nicht der Bericht einer Patientin an, die drei Wochen später von einer Brücke springt. Wollte man Rauhs Worten glauben, hatte man es hier mit einer Patientin zu tun, die mit sehr gutem Erfolg therapiert worden war - was auch immer ihre durch ein Trauma verursachten Ängste gewesen waren, denn darüber schwieg sich die Akte aus. Das war jedoch nichts Ungewöhnliches. Die meisten von Jans Kollegen fassten sich in ihren Akten derart knapp. Der Zeitdruck, unter dem die meisten Klinikärzte standen, war einfach zu groß.

    Jan verglich die Computerdatei Wort für Wort mit dem ausgedruckten Exemplar. Er konnte keinerlei Abweichungen erkennen. Wenn jemand die Datei manipuliert hatte, dann hatte er wohl tatsächlich einen neuen Ausdruck gemacht und die alte und die neue Akte ausgetauscht.
    »Das bringt mich leider auch nicht weiter«, sagte er und erhob sich.
    »Also gut, Doktor.« Liebwerk trat dicht an ihn heran. Jan konnte seinen säuerlichen Raucheratem riechen. »Dann dürfte ich Sie wohl bitten zu gehen.« Der Archivar schien nervöser denn je zu sein.
    Jan sah ihn fragend an. »Wovor haben Sie Angst?«
    Liebwerk bleckte seine nikotingelben Zähne zu einem hässlichen Grinsen. »Ich habe keine Angst«, raunte er Jan zu. »Ich bereue nur, dass ich Ihnen überhaupt so viel erzählt habe. In genau siebzehn Monaten und zwei Wochen gehe ich in meinen wohlverdienten Ruhestand, und den will ich genießen können. Ich ahne aber, dass ich einen Haufen Schwierigkeiten bekomme, wenn ich mich nicht ab sofort aus dieser Sache heraushalte. Ich habe die ganze Nacht kein Auge zubekommen deswegen. Haben Sie das verstanden, Doktor?«
    Jan wandte sich zum Gehen. »Na schön, ich werde Sie nicht weiter behelligen. Trotzdem danke für Ihre Hilfe.«
    »Nicht durch den Haupteingang!«, hörte er Liebwerk rufen. »Nehmen Sie die Seitentür durch die Verwaltung.«
    Kopfschüttelnd wandte Jan sich um. »Übertreiben Sie jetzt nicht ein wenig?«
    »Ist mir gleich, was Sie denken«, stieß Liebwerk hervor. »Ich will nicht, dass Sie hier gesehen werden. Basta.«
    Für einen Moment fragte sich Jan, ob Liebwerks Angst vielleicht doch berechtigt war. Was, wenn sie wirklich in
etwas hineingeraten waren, dessen Umfang und Gefährlichkeit sie noch gar nicht abschätzen konnten?
    Vielleicht ist das aber auch alles nur ein Riesenhaufen Paranoia, und du hast dich damit angesteckt.
    Als Jan durch die Seitentür trat und in dem schmalen Treppenhaus stand, hörte er, wie hinter ihm die Tür abgesperrt wurde.
    Das alte Verwaltungsgebäude erinnerte Jan an das Schlosshotel aus einem Abenteuerroman, den er in seiner Jugend gelesen hatte. Auch hier gab es zahlreiche Gänge, Treppen und Nebentrakte, in denen man sich hätte verirren können. Doch im Gegensatz zum Schauplatz des Romans gab es hier nichts Aufregenderes zu entdecken als zahlreiche Büros, einen Kopierraum und mehrere Besprechungszimmer und die Personaltoiletten.
    Durch den Seitenaufgang gelangte Jan in die Haupthalle, wo sich beim Ausgang eine Gruppe von Ärzten versammelt hatte. Ein Blick auf die Uhr über der zweiflügligen Tür verriet Jan, dass die tägliche Oberarztkonferenz vor wenigen Minuten geendet hatte.
    Schlechtes Timing.
    Norbert Rauh löste sich aus der Gruppe und kam auf ihn zu. »Hallo, Jan, haben Sie heute keinen Dienst?«
    »Doch, doch«, entgegnete Jan und suchte krampfhaft nach einer Notlüge, um zu erklären, was er hier verloren hatte. »Ich wollte nur kurz wegen einer Unterschrift in die Personalabteilung. Muss mich irgendwie verlaufen haben.«
    »Ist ja auch ein ziemliches Labyrinth, der alte Kasten«, sagte Rauh und

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