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Kalte Stille - Kalte Stille

Titel: Kalte Stille - Kalte Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wulf Dorn
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der lebenden Nathalie in Erinnerung behalten hatte, war weitaus schlimmer, als es eine leblose Holzkiste je sein konnte.
    Jan sah sich um. Die Zahl der Trauernden war überschaubar. Es mussten etwa fünfundzwanzig Personen sein. Bekannte, Nachbarn, vielleicht Kollegen. Keiner unter ihnen war in Nathalies Alter. Außer Carla und Ralf schien sie keine gleichaltrigen Freunde gehabt zu haben.
    Jan ertappte sich dabei, wie er die umstehenden Männer musterte, ob nicht einer von ihnen der mögliche Vater des ungeborenen Kindes war. Doch aus Jans Sicht kam keiner der männlichen Trauergäste infrage; es sei denn, Nathalie hatte eine Schwäche für kahlköpfige und schmerbäuchige Herren älteren Semesters gehabt.
    Etwas weiter entfernt sah Jan jemanden, den er an diesem Tag und an diesem Ort am wenigsten erwartet hätte. Fast schon glaubte er sich zu täuschen, aber es war tatsächlich Hubert Amstner, der dort zwischen den Gräbern stand. Im trüben Licht des Wintertags sah er aus
wie ein Geist, grau gekleidet und wie immer mit wirr vom Kopf abstehenden Spinnwebhaaren.
    Amstner nickte ihm zu, und Jan erwiderte den Gruß.
    Carla hielt sich tapfer, fand Jan, auch wenn sie mit dem Rücken zu ihm stand. Zwar verriet das Zucken ihrer Schultern, dass sie weinte, aber ihre Haltung war dennoch aufrecht. Ralf hingegen sah aus, als hätten sich sämtliche Muskeln aus seinem Körper verflüchtigt. Der Pfleger konnte sich kaum auf den Beinen halten und wäre auf dem Kiesweg zum Grab mehrmals beinahe hingefallen, wenn Carla ihn nicht gestützt hätte. Schluchzend klammerte er sich an sie - ein Bild des Jammers.
    Als sich alle um das ausgehobene Grab versammelt hatten, begann der indische Pfarrer mit der Grabrede. Als seine Worte in einen Singsang übergingen, glaubte Jan, das Vaterunser zu erkennen. Doch gegen den dröhnenden Verkehr auf der nah am Friedhof vorbeiführenden Schnellstraße ging es völlig unter. Dort draußen ging das Leben weiter, so wie es immer weitergeht, auch wenn wir nicht mehr daran teilnehmen.
    Begleitet vom Läuten der Friedhofsglocke wurde der Sarg in die Grube hinabgelassen. Nachdem der Pfarrer die Segnung gesprochen hatte, stellte der Ministrant eine tragbare Stereoanlage an. Ozzy Osbournes »Dreamer« schepperte durch die trostlose Szenerie.
    Wahrscheinlich Nathalies Lieblingslied, dachte Jan. Sicherlich eine Idee von Ralf .
    Ralf begab sich als Erster ans Grab, um eine Schaufel voll Erde auf den Sarg zu werfen. Als er sich umdrehte, blieb er stehen und schien zum ersten Mal die Trauergemeinde zu registrieren. Niemand wagte, ans Grab zu treten. Ralf funkelte die Leute wütend an.

    »Was glotzt ihr so?«
    Carla überwand sich und trat zu ihm. Sie versuchte ihn zu beruhigen und griff ihn am Arm, doch er schüttelte sie mit einer zornigen Bewegung ab.
    »Lass das!«, schrie er, und seine Stimme überschlug sich. »Du bist doch auch nicht besser! Ihr verdammten Heuchler, ihr!«
    Ozzy Osbourne verkündete gerade, es sei ihm gleich, ob Gott oder Jesus Christus eine höhere Macht seien, als der Ministrant die Musik abschaltete.
    »Und du …«, Ralf trat einen Schritt auf Jan zu und zeigte auf ihn, »du bist der größte Heuchler von allen! Für dich war Nathalie doch nichts als eine billige Nutte, die sich vom Nächstbesten schwängern lässt. Ihr habt sie alle überhaupt nicht gekannt! Euch war sie doch völlig gleichgültig!«
    Marenburg sah betreten zu Jan, doch der sagte nichts. Ralf wusste vor Trauer und Verzweiflung nicht, was er sagte, und wenn es ihm jetzt Erleichterung verschaffte, seine hilflose Wut auf Jan zu lenken, dann war das für Jan in Ordnung.
    »Euch hat es doch einen Scheißdreck interessiert, wie es Nathalie ging«, kreischte Ralf und hob die geballten Fäuste. Sein Kopf war krebsrot angelaufen. »Keiner war je für sie da. Nur ich … nur ich. Und jetzt ist sie tot. Meine Nathalie, tot , versteht ihr?«
    Wieder unternahm Carla den Versuch, Ralf zu beruhigen. Doch als sie ihn jetzt berührte, stieß er sie von sich.
    Carla verlor das Gleichgewicht und fiel rücklings auf einen der mit Kunstrasen bedeckten Erdhügel. Der grüne Plastikstreifen rutschte weg. Carla war kurz davor, in das Grab stürzen, doch Jan und Marenburg waren rechtzeitig
bei ihr und konnten sie am Mantel packen. Sie halfen ihr wieder auf die Beine.
    »Alles in Ordnung«, murmelte Carla und klopfte sich Schmutz und Schnee vom Mantel. »Und jetzt komm, Ralf, wir … Ralf?«
    Doch Ralf war weg. Während alle durch Carlas Sturz

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