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Kalte Stille - Kalte Stille

Titel: Kalte Stille - Kalte Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wulf Dorn
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Schreien.
    Jan schrie, trat zu und schrie wieder. Und es tat gut zu schreien!
    Erst als er hinter sich ein dunkles Knurren hörte, kam er wieder zu sich und sah sich um. Hinter ihm stand ein zottiger Golden Retriever. Er trug kein Halsband, und sein Fell war ungepflegt. In seinen Augen funkelte etwas Drohendes, und als Jan die gebleckten Zähne sah, erstarrte er vor Angst.
    Das Fell, das einst von rötlicher Farbe gewesen sein musste, war schlammverkrustet und wirkte beinahe schwarz. Für einen Moment glaubte Jan, den Hund wiederzuerkennen.
    »Rufus?«
    Der Hund hörte auf zu bellen.
    »Bist du das, alter Junge?«
    Es konnte unmöglich Rufus sein. Kein Hund wurde so alt. Außerdem hatte er den Hund an den Bekannten eines Freundes abgegeben, kurz bevor er aufs Internat gegangen war, und dieser Bekannte hatte gut dreißig Kilometer von Fahlenberg entfernt gewohnt. Aber die Erwähnung des Namens hatte immerhin bewirkt, dass das Tier zu bellen aufgehört hatte.
    Für ein oder zwei Minuten standen sich Jan und der Hund reglos gegenüber. Um sie herum war nur die eisige Stille des Parks. Dann legte der Hund den Kopf schief, wandte sich von Jan ab und trottete auf eine Gruppe verschneiter Büsche zu, hinter der er kurz danach verschwand.
    Ernüchtert kehrte Jan zum Haus zurück. Die Dämmerung setzte bereits ein. Jan hatte keine Ahnung, wie viel Zeit er an der verlassenen Parkbank verbracht hatte.

    Schon von weitem sah er Marenburg, der seinen Wagen vor dem Haus parkte und schwerfällig ausstieg.
    »Wie geht es Carla?«, fragte Jan, als er bei ihm angekommen war.
    »Sie hat sich in den Schlaf geweint.«
    »Hat sie noch etwas gesagt?«
    »Nicht viel«, sagte Marenburg knapp und ging an Jan vorbei zum Heck des Wagens.
    »Warum wollte sie nicht, dass ich mit hochkomme?«
    Marenburg sah Jan nur kurz an, zuckte stumm mit den Schultern und öffnete dann den Kofferraum.
    »Sie gibt mir die Schuld, nicht wahr?«, sagte Jan. »Sie denkt, wenn ich ihnen versprochen hätte, bei der Suche nach dem Vater des Kindes zu helfen, hätte Ralf etwas gehabt, wofür es sich gelohnt hätte, weiterzuleben.«
    Mit einer ruckartigen Bewegung holte Marenburg eine Bierkiste aus dem Kofferraum und schlug den Deckel zu.
    »Denkst du auch so, Rudi? Glaubst du, es ist meine Schuld, dass sich der Junge auf die Straße gestellt hat?«
    »Ich denke gar nichts mehr, Jan«, sagte Marenburg leise. »Und damit das so bleibt, werde ich mich jetzt besaufen.«
    Jan spürte, wie sich alles in ihm verkrampfte.
    »Das hätte nichts geändert, Rudi. Überhaupt nichts! Verstehst du?«
    Doch Marenburg sah sich nicht mehr nach ihm um. Er stapfte zum Eingang und verschwand mit seiner Bierkiste im Haus.

40
    Irgendwann war Rudolf Marenburg gegangen, das hatte Carla noch mitbekommen. Sie hatte gehört, wie er leise aus dem Zimmer geschlichen war, die Haustür hinter sich ins Schloss gezogen hatte, und hatte noch gedacht, wie nett er doch war und dass er sie mit seiner Fürsorglichkeit ein wenig an ihren Vater erinnerte. Dann war sie wieder in den Schlaf gesunken.
    Doch es war kein erholsamer Schlaf gewesen, eher eine Art erschöpfter Ohnmacht. Und als sie schließlich wieder zu sich gekommen war, allein im Dunkel ihrer Wohnung, verschlungen in die blaue Wolldecke auf der Wohnzimmercouch, ging ihr noch lange das Bild nach, das sie während des Schlafs heimgesucht hatte.
    Ralf, der seinen Oberkörper aus der Wohnzimmerdecke geschoben hatte, als würde er sich aus einer Wasserfläche erheben. Sein Gesicht war zerschürft und durch den Unfall entstellt, und auf seiner zerquetschten Brust hatte Carla die Reifenabdrucke der Autos erkennen können, die ihn überrollt hatten.
    Ralf hatte einen Arm nach ihr ausgestreckt, von der Zimmerdecke zu ihr herabgesehen und mit einem gebrochenen Zeigefinger auf sie gedeutet.
    »Ihr habt sie im Stich gelassen«, hatte er gesagt und sich wie ein Ankläger im Gerichtssaal angehört. »Auch du, Carla. Vor allem du!«
    Dann war sie aus dem Schlaf hochgeschreckt, hatte zunächst nicht gewusst, wo sie sich befand, und panisch nach dem Lichtschalter getastet. Als sie dann zur Decke emporgesehen hatte, war sie sich sicher gewesen, dass sie dort oben noch immer Ralf und seinen anklagend auf sie gerichteten Finger sah. Doch da war nichts. Nur Ralfs
Worte hallten im Raum nach, um sie weiterhin auf Schritt und Tritt zu verfolgen.
    Nun war es spät in der Nacht. Stunden mussten seit dem Alptraum vergangen sein.
    Carla stand im Badezimmer, die Hände auf

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