Kalte Wut
sie ergriff. Er beugte sich nieder, und seine Lippen berührten ihre Hand. Das kam ihr altmodisch vor, aber es gefiel ihr.
»Passen Sie gut auf Mr. Tweed auf, meine Liebe«, schärfte er ihr ein. »Ich glaube, nur er kann dieses Monster Walvis vernichten …«
Als sie das Sigrist verließen, faltete Marier seine Zeitung zusammen, nahm seine Brille ab und folgte ihnen in einiger Entfernung ins Freie.
Palewski genoß sein zweites Zigarillo und ging in Gedanken noch einmal durch, was er zu Tweed und was Tweed zu ihm gesagt hatte. Newman war ein alter Freund von ihm, aber die Gesellschaft von Tweed und Paula Grey hatte er als gleichermaßen angenehm und sogar anregend empfunden.
Er hatte noch einen Kaffee bestellt und trank ihn langsam, genoß die einzige Stunde des Tages, in der er sich entspannen konnte. Und er freute sich auf das Abendessen mit Newman, Tweed und Paula.
Ich muß ihnen ein paar von den komischen Dingen erzählen, die ich erlebt habe, dachte er. Das sollte Paula Spaß machen, nachdem sie sich diese schlimmen Geschichten anhören mußte.
Ich werde darauf bestehen, daß die Rechnung auf mich geht. Das wird nicht einfach sein, aber ich werde aus dieser Auseinandersetzung als Sieger hervorgehen.
Er war nach wie vor der einzige Gast im Sigrist, als er das rasche Klicken der Absätze von Frauenschuhen auf der Marmortreppe hörte. Eine relativ junge und sehr attraktive Frau kam herein, sah sich um und entschied sich dann für einen Tisch in einiger Entfernung von dem, an dem Palewski saß.
Ihr Haar war tizianrot und fiel ihr bis auf die Schultern. Sie trug einen knielangen dunkelbraunen Mantel und Glacehandschuhe.
Über ihrer Schulter hing eine Tasche, die farblich genau zu ihrem Mantel paßte.
Sie setzte sich und benutzte beide Hände, um ihre Mähne aus tizianrotem Haar über die Schultern zurückzustreichen. Auf ihrer Nase saß eine Brille mit getönten Gläsern.
Als die Kellnerin kam, hörte Palewski, wie sie mit englischem Akzent bestellte.
»Ich möchte den Kaffee, wenn es sein kann, bitte. Und wenn es möglich ist, den Toast. Können Sie mir das bringen, bitte?«
Die Kellnerin sagte, natürlich könnte sie Toast bekommen, sie würde ihn selbst machen. Es würde höchstens fünf Minuten dauern.
Palewski war verwundert. Der Akzent war englisch, aber die Satzstellung deutete auf eine Frau hin, die keine Engländerin war.
Er tat gerade einen weiteren Zug an seinem Zigarillo, als die Frau zu ihm hinschaute, aufstand, zu seinem Tisch kam und sich ihm gegenüber niederließ. In ihrer linken Hand hatte sie eine Zigarette.
»Ist es möglich, daß Sie mir Feuer geben, bitte?«
»Natürlich …«
Palewski holte seine Streichhölzer aus der Tasche und zündete eines an. Die Frau beugte sich vor und hob die rechte Hand mit der Waffe, die sie aus ihrer Umhängetasche gezogen hatte. Sie feuerte sie einmal ab, und der Schalldämpfer machte den Schuß fast unhörbar. Die Zyanidkugel drang in Palewskis Brust ein, sein Gesicht verzerrte sich kurz vor Qual, dann fiel er vorwärts auf den Tisch. Sein Zigarillo rollte auf den Boden.
Die Frau, die nach wie vor ihre Handschuhe trug, ließ die Waffe wieder in ihrer Tasche verschwinden. Das angezündete Streichholz war auf dem Tisch erloschen. Sie war gerade im Begriff, das Cafe zu verlassen, als die Kellnerin mit einem Tablett mit Kaffee und Toast zurückkehrte. Sie deutete auf den Tisch.
»Der Mann dort hatte gerade eine Herzattacke. Ich hole einen Arzt. Rufen Sie auch einen an – oder noch besser, einen Notarztwagen.«
Dann war sie verschwunden.
35
»Spreche ich mit Mr. Tweed?«
Die kehlige Stimme am Telefon war arrogant und anmaßend.
Tweed, der in seiner Suite den Hörer in der Hand hielt, gab Newman ein Zeichen, der daraufhin vorsichtig den Hörer des Nebenanschlusses auf einem Beistelltisch abnahm, auf dem ein Block und ein Kugelschreiber lagen.
»Da war ein Geräusch in der Leitung«, sagte Tweed. »Jetzt scheint es verschwunden zu sein. Bitte wiederholen Sie, was Sie sagten. Und mit wem spreche ich?«
»Ich … habe … gesagt …« Die Worte kamen in Abständen, der Tonfall war sarkastisch. Der Satz wurde so langsam wiederholt, als müßte ein zurückgebliebenes Kind ihn verstehen.
»Ja, das tun Sie«, erwiderte Tweed rasch. »Und noch einmal, mit wem spreche ich?«
»Mit dem Mann, dessen Anruf Sie erwartet haben. Walvis. Es wird Zeit, daß wir ein Zusammentreffen vereinbaren. Nur wir beide. Heute.«
»Einverstanden.«
»Schon besser, Mr.
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