Kalte Wut
1812.
Kuhlmann nickte beifällig.
»Können wir alle ins Badezimmer gehen?«
Er ließ Paula den Vortritt, dann ging er selbst hinein und drehte die Hahne an der Wanne auf. Tweed und Philip waren nachgekommen. Im Badezimmer war ein Lautsprecher, aus dem dieselbe Musik erklang.
»Ich nehme an, Sie haben Ihre Suite nicht auf Wanzen untersucht«, knurrte Kuhlmann. »Nein? Das dachte ich mir.« Er holte seine Zigarrenschachtel hervor, überlegte es sich dann in Anbetracht der Enge des Badezimmers anders und steckte die Schachtel wieder ein, ohne eine Zigarre herausgenommen zu haben.
»Ich hatte gerade Lindau am Telefon. Der Pilot von Walvis’ Wasserflugzeug hat einen Flugplan vorgelegt, demzufolge er morgen früh nach England fliegen will. Er hat auch sein Ziel genannt. Aldeburgh, an der Küste von East Anglia.«
»Das Radio allein dürfte ausreichen, unsere Unterhaltung zu übertönen«, sagte Kuhlmann, zurück in das große Wohnzimmer vorausgehend.
Paula war amüsiert, als sie den wahren Grund für seinen Entschluß erkannte. Er zündete sich seine Zigarre an. Sie beobachtete, wie Tweed die Neuigkeit aufnahm. Es sah so aus, als wären damit Tweeds Vermutungen über den Ort der endgültigen Konfrontation bestätigt worden. Deshalb überraschte sie seine Reaktion.
»Sagen Sie, Otto – diese Botschaften von Walvis, die Sie aufgefangen haben, mußten die entschlüsselt werden?«
»Nein. Es wurde kein Code verwendet. Sie wurden ganz offen in Englisch gesendet.«
»Das finde ich äußerst merkwürdig«, sagte Tweed stirnrunzelnd. »Würde Walvis mit all seinen technischen Möglichkeiten nicht wissen, daß Sie seinen Funkverkehr abhören?«
»Ja, ich nehme an, das würde er.«
»Und inzwischen dürfte er auch wissen, daß Sie und ich zusammenarbeiten?«
»In Anbetracht der Tatsache, wie stark er München infiltriert hat, nehme ich an, daß er auch das weiß. In der Polizeizentrale gibt es undichte Stellen, aber das habe ich berücksichtigt, als ich die Angriffe auf das Lagerhaus und das Bauernhaus in die Wege leitete. Letzteres ist übrigens bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Ich habe diesen Zielen Decknamen gegeben, damit niemand ihn im voraus warnen konnte.«
»Also«, faßte Tweed zusammen, »er weiß, daß wir zusammenarbeiten, und er weiß, daß Sie seinen Funkverkehr abhören, und trotzdem macht er sich nicht die Mühe, seine Botschaften zu verschlüsseln.«
»Worauf wollen Sie hinaus?« fragte der Deutsche gereizt.
Sie saßen jetzt alle in einem Halbkreis. Paula und Philip hatten die Sessel zurechtgerückt und hörten den beiden Männern aufmerksam zu.
»Worauf ich hinauswill«, sagte Tweed, »ist, daß etwas sehr Seltsames vorgeht. Als Sie sagten, das Wasserflugzeug hat vor, morgen zu starten, haben Sie da heute gemeint? Schließlich ist die Nacht schon halb vorbei.«
»Als ich morgen sagte, habe ich auch morgen gemeint«, sagte Kuhlmann mit großem Nachdruck. »Nicht den Tag, der bereits angebrochen ist, sondern den nächsten. Ich dachte, mein Englisch wäre halbwegs verständlich«, knurrte er.
Die Atmosphäre in dem Zimmer wurde immer angespannter.
Der Streß, unter dem wir alle stehen, macht sich bemerkbar, dachte Paula. Aber Tweeds Verhalten war ruhig und verbindlich, als er antwortete.
»Ich wollte nur ganz sicher gehen, daß ich Sie wirklich richtig verstanden habe. Bei meinen eigenen Entscheidungen spielt das Timing eine ausschlaggebende Rolle. Und wissen Sie, wo Walvis sich im Augenblick aufhält?«
»Ja. Sitzt immer noch in seinem Walt Disney-Flugzeug auf dem Starnberger See und rührt sich nicht von der Stelle.«
»Wäre es möglich, ihn zu verhaften, bevor er verschwindet?« fragte Paula.
»Nein, ich bin sicher, das wäre nicht möglich.« Es war Philip, der gesprochen hatte, mit hartem Gesicht und vehementem Tonfall. »Wir haben keinerlei Beweise für irgendwelche kriminellen Aktivitäten, die vor Gericht standhalten würden.«
Alle starrten Philip an. Es war Paula, die den Grund für Philips nachdrückliche Intervention begriff.
Er wollte nicht, daß Walvis verhaftet wurde.
Er wollte warten, bis er den Mann, der den Mord an seiner Frau befohlen hatte, selbst zu fassen bekam.
»Philip hat recht«, gab Kuhlmann zu. »Ich würde nie einen Haftbefehl bekommen. Dazu hat er seine Spuren immer viel zu geschickt verwischt.«
»Diese Sache macht mir wirklich Kopfzerbrechen«, bemerkte Tweed. Er stand auf und begann, im Zimmer umherzuwandern.
»Ich habe Walvis getroffen, mir eine
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