Kalte Wut
nachdem er in sein Zimmer zurückgekehrt war.
Auch Paula war noch da, auf einer Couch zusammengerollt wie eine Katze. Aber ihre Augen wirkten wach, als sie die Kissen hinter ihrem Kopf zurechtrückte. Sie beobachtete Philip, der auf Tweeds Worte reagierte.
»Und Sie bleiben auf?«
»Ja«, gab Tweed zu.
»Und warten auf die nächste Nachricht von Kuhlmann?« fuhr Philip fort.
»Ja, das tue ich. Ich würde gern ein Bad nehmen, aber ich hasse es, das Telefon mit Händen voller Seifenschaum anzufassen. Ich kann warten, bis er anruft.«
»Und ich gleichfalls«, sagte Philip grimmig. »Ich kann ohnehin nicht schlafen, solange ich nicht weiß, was Walvis’ nächstes Ziel ist. Und dann folgen wir ihm, nehme ich an.«
»Ihre Annahme ist richtig.«
Paula stellte fest, daß sie Philip noch nie so entschlossen und mit so versteinertem Gesicht gesehen hatte.
»Philip, woran denken Sie?« fragte sie leise.
»An nicht viel, außer an Walvis.«
»Das kann ich verstehen. Ich glaube, ich werde auch aufbleiben. Ich bestelle noch mehr Kaffee und Mineralwasser.«
»Mineralwasser ist eine gute Idee«, sagte Philip automatisch.
»Ich habe fürchterlichen Durst.«
Er hatte gelogen. Er dachte nicht an Walvis. Erinnerungen fluteten in seinen Kopf, Erinnerungen an Jean. Er erinnerte sich daran, wie sie gesprochen hatte, ihre Stimme, die ein tiefes Timbre gehabt hatte und trotzdem sanft gewesen war. Sie hatte eine besondere Gabe gehabt, Menschen einzuschätzen, und hatte ihn bei mehr als einer Gelegenheit vor Leuten gewarnt, denen er vertrauen wollte. Und immer hatte sich herausgestellt, daß sie recht gehabt hatte. Wenn er in London arbeitete und sie in ihrem Haus in Surrey war, hatte sie sich Sorgen gemacht, wenn er sich verspätete, und war erleichtert gewesen, wenn sie seinen Schlüssel im Schloß hörte. Er wußte, daß er niemals wieder jemanden wie sie kennenlernen würde, und das war eine Tatsache, die ihm das Gefühl einflößte, daß er sich nie damit abfinden würde.
»Mineralwasser, Philip«, sagte Paula und streckte ihm ein Glas entgegen.
Er fuhr zusammen, aus seinen qualvollen Erinnerungen herausgerissen. Er sah zu ihr auf, und sie sah den Schmerz in seinen Augen und lächelte verständnisvoll.
»Danke, Paula. Ich könnte einen Liter davon trinken.«
»Dann haben wir ja Glück gehabt – sie haben drei Literflaschen heraufgeschickt.«
Er leerte das Glas mit einem großen Schluck, und sie füllte es wieder. Dann setzte sie sich auf die Lehne seines Sessels und begann zu reden.
»Ich habe das Gefühl, daß die große, entscheidende Aktion nahe bevorsteht«, sagte sie leise. »Und dann werden wir alle Hände voll zu tun haben.«
»Gut. Je schneller, desto besser. Ich habe Lucien erledigt und verspüre nicht das geringste Schuldbewußtsein. Ich kann es kaum erwarten, mir Walvis von Angesicht zu Angesicht vorzunehmen.«
»Trinken Sie noch mehr Wasser. Die Anspannung, unter der wir alle stehen, trocknet aus.«
»Sie sind sehr gut –zu mir.« Er leerte das zweite Glas, und sie füllte es abermals von neuem. Er fing an, sich besser zu fühlen; die Nähe einer Frau, die er mochte und bewunderte, tat ihm gut.
Es war nichts Sinnliches in seiner Reaktion; er hatte die Gesellschaft intelligenter Frauen schon immer genossen. Er sah auf und streckte ihr das Glas mit dem Wasser hin.
»Ich bin sicher, daß Sie auch durstig sind.«
»Jetzt, wo Sie es sagen – ich glaube, Sie haben recht.« Sie nahm das Glas, trank die Hälfte, seufzte erleichtert, dann leerte sie das Glas. Danach füllte sie es wieder und stellte es auf einen Tisch, wo sie es beide erreichen konnten.
»Sehen wir zu, wer als erster danach greift.«
Sie hatte kaum ausgesprochen, als laut an die Tür geklopft wurde. Paula war im Begriff aufzuspringen, als Philip ihr eine Hand aufs Knie legte und dann aufstand.
»Ich sehe nach, wer es ist.«
Als er mit seiner Walther in der Hand zur Tür ging, warf er einen Blick über die Schulter. Tweed war in einem tiefen Sessel zusammengesunken und schien zu schlafen, aber seine Augen waren weit offen. Er war tief in Gedanken versunken.
Zu seiner Überraschung fand Philip Kuhlmann vor, der allein auf dem sonst menschenleeren Flur stand. Kuhlmann nickte Philip zu und trat ins Zimmer. Paula stellte fest, daß er frisch rasiert war.
»Könnte jemand das Radio anstellen? Musik«, knurrte er.
Paula sprang auf, stellte es an, fand rasch einen Sender, der klassische Musik brachte. Tschaikowskys Ouvertüre
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