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Kalte Zeiten - Toporski, W: Kalte Zeiten

Kalte Zeiten - Toporski, W: Kalte Zeiten

Titel: Kalte Zeiten - Toporski, W: Kalte Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Toporski
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fahren, die Pferde brauchen eine Ruhepause. Der Treck hält an und ich sehe Häuser, wohl eine Stadt. Staszek springt vom Sitz, legt den Tieren eine Decke über und gibt ihnen Hafer und Häcksel. Mama, die zwei Tage lang kein Auge zugemacht hat, legt sich zu uns und schläft fast augenblicklich ein.
     
    Ich wache davon auf, dass Mama nach Staszek ruft, es ist noch dunkel. Verschlafen blicke ich nach vorn. Noch einmal ruft Mama und noch einmal. Dann nimmt sie eine Laterne, geht um den Wagen herum und ruft in alle Richtungen. Aber sie erhält keine Antwort. Staszek ist weg!
    Sie muss jetzt allein weiterfahren, ohne Ablösung, ohne Pause, immer weiter, solange die Pferde durchhalten.
    Aber ich verstehe das nicht. »Warum ist Staszek denn weg?«, frage ich.
    Mama schaut nur nach vorn, schaut auf die Pferderücken, lässt ihren Blick keine Sekunde von der Straße.
    Erst viel später, als ich gar nicht mehr an meine Frage denke, gibt sie Antwort: »Staszek will nicht für einen Freund der Deutschen gehalten werden. – Man wird hier zu Deutschen bald nicht mehr freundlich sein dürfen.«
    Und wieder verstehe ich nicht, warum. Aber Mama möchte ich jetzt nicht mehr fragen.
     
    Es ist Nachmittag, der Treck muss ein steiles Wegstück hoch, und die Pferde haben Mühe, die Wagen die glatte Straße hinaufzuziehen. Vor uns staut sich alles und von hinten drücken die Fuhrwerke nach, schieben sich seitlich vorbei, drängen uns ab. Verzweifelt versucht Mama, den Wagen zu halten, aber auf dem glatten Untergrund stellt sich der Wagen quer, quetscht sich gegen andere. Ich schreie auf und schlage die Hände vors Gesicht, Huppe und Wolfi halten sich krampfhaft am Wagenholz fest. Die Pferde scheuen, die Wagen verkeilen sich immer schlimmer, die Stute stürzt.
    Etwas kracht: Die Deichsel ist gebrochen!
    Mamas Gesicht ist ganz hart, wie versteinert. Sie steigt vom Wagen, spannt die Pferde aus, bindet den Wallach an einen Straßenbaum und versucht, die Stute auf die Beine zu bekommen. Jetzt, ohne Last, schafft sie es auch.
    Aber die Deichsel? Ohne Deichsel kann man nicht fahren. Einen nach dem anderen bittet Mama die Umstehenden um Hilfe, aber keiner will seine Zeit mit uns vergeuden, alle warten nur auf die nächste Möglichkeit, an uns vorbeizukommen. Einer schafft es sogar in diesem Gewühl, und ich höre, wie er Mama zuruft: »Bleib doch liegen und verrecke!«
    Huppe hält jetzt die Stute.
    »Geh nach vorn«, bittet mich Mama, »und sieh, ob du Stroheisels findest! Vielleicht helfen die uns ja.«
    Immer noch steht der Treck. Wagen um Wagen gehe ich nach vorn und halte Ausschau. Aber ich finde niemanden. So weit ich auch gehe: keine Stroheisels! Immer wieder frage ich, aber keiner kennt unsere Nachbarn und manche antworten nicht einmal.
    Auf einmal zieht der Treck wieder an. Ein Wagen nach dem anderen fährt an mir vorüber. Ich weiß nicht, an wie vielen ich vorbeigegangen bin, weiß nicht, wo unser eigener Wagen ist oder wann er vorbeikommen müsste. Ich weiß nur, dass ich hier stehe, ganz allein.
    Ich stehe einfach da und kann mich nicht rühren. Bin gelähmt, weiß weder aus noch ein. Dass ich auch weine, merke ich erst nach einer Weile. Ich stehe am Straßenrand und sehe die Fuhrwerke eines nach dem anderen vorüberziehen, nehme die Menschen auf ihnen kaum wahr, die selber, tief vermummt und mit grauen Gesichtern, nicht mehr fähig sind, auf etwas anderes zu achten als auf sich selbst.
    Nur einmal höre ich: »Da steht ein Kind! – Wem gehört denn das Kind?«
    Aber auch dieser Wagen fährt vorbei. Und dann renne ich doch. Panisch renne ich zurück, suche tränenüberströmt unseren Wagen, kann durch die Schleier vor meinen Augen kaum noch etwas erkennen.
    Und plötzlich geschieht ein Wunder. Ich werde von weichen Armen aufgefangen und höre: »Lenchen! Mein Lenchen!«
    Und Mama setzt mich ganz sanft auf den Wagen.
     
    Einer hatte sich doch noch zum Helfen bereit gefunden, keiner von den anderen Fuhrwerken, sondern einer, der zu Fuß unterwegs ist, ein Eisenbahner, noch in Uniform.
    »Wollen mal schauen, was sich machen lässt«, hatte er gesagt, als er sich den Schaden besehen hatte. Und dann hatten sie beschlossen, die geborstenen Deichselenden wieder aneinander zu fügen und mit einer Wäscheleine fest zu umwickeln. Und sie haben es geschafft.
    Ich sehe sie die Pferde wieder einschirren und es geht weiter. Gott sei Dank!
     
    Wir fahren wieder in der Nacht, fast ununterbrochen. Die Pferde brauchen manchmal Ruhepausen und

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