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Kalte Zeiten - Toporski, W: Kalte Zeiten

Kalte Zeiten - Toporski, W: Kalte Zeiten

Titel: Kalte Zeiten - Toporski, W: Kalte Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Toporski
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aufgewacht. Der Kanonendonner klingt anders als in den letzten Wochen, viel näher! Irgendjemand hat gesagt, Frauen und Kinder sollten sich bereithalten, sie würden mit der Bahn abtransportiert, aber schließlich hat sich herausgestellt, es war nur ein Gerücht. Offiziell, sagt Mama, heißt es immer noch, es bestehe kein Grund zur Unruhe. Aber inzwischen glaubt diesen Beschwichtigungen hier niemand mehr.
    Als Mama uns heute Abend zu Bett gebracht hat, war sie noch ernster als die letzten Tage schon. Ich kann nicht einschlafen, und ich merke, wie sie hin und her geht. Mal höre ich die Stalltür gehen, dann ist sie wieder im Haus und irgendwann redet sie mit Staszek. Ich höre das Donnern der Geschütze und unser Hund bellt und reißt an der Kette. Von der Straße dringt der Lärm des vorbeirollenden Verkehrs herüber, immer mehr Fahrzeuge scheinen auf der Straße zu sein.
    Irgendwann muss ich doch eingeschlafen sein, denn ich habe Mühe, wach zu werden, als Mama mich weckt. Sie hat mit Staszek den Wagen fertig gepackt, ehe sie uns holte. Verschlafen ziehe ich mich an, möglichst viel übereinander, damit wir es warm haben. Ich nehme Mara, meine Puppe, auf den Arm und schnappe mir noch mein Lieblingsbuch. Dann verschwinde ich mit Huppe und Wolfi in den Bettenburgen.

DAS GESICHT DES KRIEGES
    Es ist fast noch Nacht, nur ein schwacher Streifen Helligkeit im Osten kündigt den Tag an. In der Ferne donnern Geschütze und ihre Lichtblitze erhellen den Himmel. Schwer knirscht der Wagen durch die Birkenallee. Vorn auf dem Kutschbock sitzen Staszek und Mama. Ehe wir abfuhren, hat sie Abschied genommen, ist noch einmal durch die Ställe gegangen, hat die Tiere gestreichelt, die Fohlen und die Kühe, hat den Schweinen einen Klaps gegeben, den Hund umarmt: Auch er muss dableiben. Nur die zwei Pferde vor dem Wagen können wir mitnehmen. Hoffentlich halten sie durch! Bei dem Wallach – es ist nicht der junge, den Staszek zugeritten hat – haben Mama und Staszek keine Sorge, aber die Stute ist nicht mehr die Jüngste.
    Wir haben Mühe, uns aus dem Hoftor zu drängen, so voll gestopft ist die Straße. Alles hastet vorüber, Militär mit Lastern und Kübelwagen 4 , dazwischen jede Menge Leiterwagen, Kutschen, viele Leute, die zu Fuß und mit Rucksäcken die Flucht angetreten haben und die vielleicht hoffen, von irgendwem mitgenommen zu werden. Wir sehen die Nachbarn vorüberfahren, Stroheisels, mit denen wir uns gegenseitig ausgeholfen haben.
    In einer winzigen Lücke schaffen wir es endlich, uns in den Strom hineinzuzwängen. Staszek muss höllisch aufpassen, denn es ist ein tückisches Fahren. Alles hastet vorwärts,versucht zu überholen, was zu überholen geht, rücksichtslos, und alle mit dem Ziel, die eigene Haut zu retten. Von den Seitenstraßen drückt es herein, drängelt, quetscht, flucht und schlägt sogar mit der Peitsche nach unseren Pferden. Ständig versuchen welche, uns abzudrängen, und auf der eisig glatten Straße muss Staszek beim Fahren ohnehin schon sehr aufpassen. Wehe, wenn auch nur ein Rad in den Straßengraben abrutscht! Ohne festen Halt unter den Hufen haben die Pferde kaum eine Chance, das Gefährt wieder herauszuziehen!
    Staszek und Mama wechseln sich beim Kutschieren ab, während wir hinten in den Bettenburgen liegen, Wolfi in der Mitte. Ich hocke zwischen den Kissen, gucke vorne hinaus und beobachte alles. Schlafen kann ich jetzt sowieso nicht mehr. Aber merkwürdig: Rundum ist alles in Aufruhr, ist Hasten und Geschrei, ist sicher auch Gefahr, aber wenn ich vorher Angst gehabt habe, jetzt habe ich keine. Ich fühle mich geborgen hier, und vorne sitzen Mama und Staszek, die bringen uns durch!
    Den ganzen Tag über wird gefahren. Ab und zu halten wir an, damit die Pferde verschnaufen können. Aber nie lange, dann geht es weiter. Wir Kinder gucken meistens raus, sonst vertreiben wir uns die Zeit mit Spielen, manchmal schlafen wir auch. Ich gewöhne mich rasch an das neue Leben, obwohl alles ganz anders ist als sonst.
    Auch in der Nacht fahren wir. Der Mond ist aufgegangen und ich setze mich nach vorne zu Mama. Sie sagt gar nichts und legt nur ihren Arm um mich. Schnee liegt auf den Zweigen und im Mondlicht glitzern die Eiskristalle über den weißen Flächen. Es ist schön, so durch die Nacht zu fahren. Es ist sogar jetzt schön, wo wir aus der Ferne den Gefechtslärm hören und die Blitze der Einschläge sehen, wo all die Räder knarren und die Kutscher fluchen.
    Aber die ganze Nacht können wir nicht

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