Kalte Zeiten - Toporski, W: Kalte Zeiten
Tagelöhner, die im Herbst bei der Ernte geholfen haben, und bereitet den Wagen für die Flucht vor. Die Spanten haben sie verlängert, indem sie kräftige Balken daran geschraubt haben. Dann haben sie ein Gewölbe aus Eisenbügeln und Streben konstruiert, auf das sie jetzt Stroh binden, sodass ein Dach daraus wird.
»Gut«, sagt Staszek, »jetzt rauf!«
Mama passt auf, dass alles so gemacht wird, wie sie es sich vorgestellt hat. Und ich sehe jetzt zu, wie sie gemeinsam versuchen, das Dach auf den Wagen zu heben. Aber es ist zu schwer.
»Cholera!«, flucht Staszek. »Noch mal!«
Auch im zweiten Anlauf schaffen sie es nicht. Staszek zieht die Stirn kraus, nimmt die Mütze ab und kratzt sich hinterm Ohr.
»Mit’nem Seil! Hochziehen!«, schlägt einer vor.
Sie tragen das Verdeck zur Remise unter die Seilrolle und schieben den Wagen dicht daneben.
»Hau-ruck, hau-ruck!«, so hieven sie das Dach in die Höhe. Dann schieben sie den Wagen darunter und lassen das Dach wieder ab.
»Wer sagt’s denn!«, ruft Mama.
Nun werden die Eisenbügel fest an die verlängerten Spanten geschraubt.
»Das nicht wegfliegen!«, sagt Staszek und schlägt zur Bestätigung noch einmal kräftig mit der Faust gegen den Aufbau.
Dann wird der Wagen innen vorbereitet. Eine Lage Stroh kommt zuunterst, darauf Decken, und ganz hinten werden die Federbetten hineingelegt. Mehr passiert zuerst nicht, denn Mama will noch ein bisschen abwarten, weil sie immer noch hofft, dass wir vielleicht doch nicht wegmüssen.
Ich rufe Huppe und Wolfi und gemeinsam erkunden wir das Gefährt. Wie ein Haus ist es, ein Kinderhaus, gerade groß genug für uns drei. Wir probieren die Lager ganz hinten aus und stellen die Federbetten wie Zelte auf, dass wir richtig darin wohnen können. Es ist gemütlich. Wir ziehen sie vorne zusammen, bis wir nur noch mit dem Kopf herausgucken, und ich muss lachen, weil das bei den beiden anderen so komisch aussieht!
Mitten im Spiel ruft uns Mama.
»Dietrich, Lena!«
Wir laufen hinüber.
»Helft mir beim Packen!«
Sie sagt uns, was sie braucht, wir holen es aus den Schränken und reichen es ihr. Es ist unglaublich viel, was alles mitsoll!
»Alles Sachen, die wir bei einem Neuanfang woanders brauchen werden«, erklärt Mama.
Und deswegen kommen nicht nur die Koffer mit Kleidern und Wäsche mit, sondern auch das Porzellan und das Silber, beides gut eingewickelt und in einer festen Kiste verstaut. Die Fotos kommen ebenfalls mit. »Die sind unwiederbringlich«, sagt Mama. Und dann auch eine ganze Menge Akten und Papiere. Zum Schluss packt Mama noch den Schmuck ein, die Ringe und die schöne Kette, die sie immer nur zu besonderen Anlässen getragen hat.
Es ist alles ganz anders als bei unserem letzten Umzug von Mauer hierher. Da war es auch hektisch zugegangen und es hatte auch viel Durcheinander gegeben. Aber da waren wir nicht gezwungen gewesen zu fahren, da hatte niemand Angst zu haben brauchen. Im Gegenteil, wir hatten uns alle auf das Neue gefreut und der Aufbruch war ein spannendes Abenteuer gewesen.
Und diesmal? Wo geht es eigentlich hin? Keiner weiß es genau, auch Mama nicht. Nur weg!
Je mehr wir einpacken, desto ungemütlicher wird es im Haus. Die Schränke gähnen einen mit ihren leeren Fächern an, und das Haus wirkt, als wollte es uns nicht mehr, als spuckte es uns aus.
Es ist schon Mitte Februar, alles ist zum Abfahren bereit, aber noch immer gibt es keinen Befehl zum Aufbruch. Doch lange kann es nicht mehr dauern. Die Front ist noch näher gekommen, der Gefechtslärm stärker. Alle Leute sind unruhig, und keiner weiß, was jetzt das Beste ist, ob man fahren soll oder nicht, ob jetzt oder später. Diese Ungewissheit ist schlimmer, als wenn es gleich losgehen würde.
Aber dass wir fahren, steht für Mama fest, hier bleiben will sie auf keinen Fall. Und deswegen hat sie all die überzähligen Lebensmittel, das frisch Geschlachtete und das Brot, alles, was wir nicht mitnehmen können, in Körbe gepackt und diese Sachen bringen wir jetzt zu den Nachbarn. Mama hat nie einen Unterschied zwischen Polen und Deutschen gemacht, und so gehen wir jetzt zu allen rundum, zu allen, mit denen man sich gegenseitig ausgeholfen hat, vor allem aber zu denen, die arm sind, weil sie keinen Hof haben. Mit jedem redet Mama ein paar freundliche Worte, und ich sehe, dass die Menschen sich freuen. Bloß dass sie mir immer noch über den Kopf streicheln und meine Zöpfe betatschen müssen, das hasse ich!
Heute bin ich früh
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