Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Kalter Amok

Titel: Kalter Amok Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David L. Lindsay
Vom Netzwerk:
darf Ihnen ruhig sagen, daß er wegen seiner Leistungen ausgewählt wurde für ein spezielles Programm, das ich leite. Er ist nicht extrovertiert, kommt aber mit den anderen Studenten gut zurecht. Er ist nicht in aggressiver Weise egozentrisch – wenngleich ein gewisser Prozentsatz von Egozentrik mit dem Beruf einhergeht, wie ich befürchte –, und er ist sich seiner beträchtlichen Fähigkeiten durchaus bewußt. Gesellschaftlich kenne ich ihn nicht näher, obwohl ich meine Studenten in den höheren Semestern mehrmals im Jahr in gesellschaftlichen Situationen zusammenbringe, um gewisse soziale Kontakte zu knüpfen. Er stammt aus einer wohlhabenden brasilianischen Familie und hat viel Geld zur Verfügung. Ich weiß nichts über spezielle und herausragende persönliche Eigenschaften, weder im Positiven noch im Negativen. Und ich habe in letzter Zeit keine Veränderung in seinen Arbeitsgewohnheiten und kein Nachlassen bei seinen wissenschaftlichen Untersuchungen bemerkt.« Er ließ eine kurze Pause entstehen. »Habe ich Ihre Fragen richtig vorweggenommen?«
    Haydon lächelte und nickte. »Worum geht es bei dem Spezialprogramm, an dem er teilnimmt?«
    »Ich habe Mittel, die mir aus einer privaten Stiftung zur Verfügung gestellt wurden, und diese Mittel erlauben mir eine Untersuchung der genetischen Induktion von Viren und ihren Einfluß auf die Produktion von Interferon. Interferon ist eine Ordnung kleiner, löslicher Proteine, die von Zellen produziert und freigesetzt werden, welche von Viren befallen wurden. Dieses freigesetzte Interferon wandert zu anderen Zellen, die nicht infiziert sind, und läßt in ihnen ein Antiprotein entstehen, das die Vermehrung von Viren behindert. Natürlich hat der menschliche Körper schon immer Interferon produziert, aber er produziert es in so winzigen Mengen, daß das bisher keine große Aufmerksamkeit erregt hat. Ja, man nahm an, daß sein Einfluß ebenso gering sei wie seine Menge. Jüngste Entdeckungen über die Natur des Interferons allerdings haben die medizinische Forschung zu der Annahme veranlaßt, daß Interferon, wenn es in größeren Mengen produziert wird, vielleicht eines Tages sogar synthetisch, zu einer neuen ›Wunderdroge‹ werden könnte, mit der unzählige Krankheiten, darunter Krebs, geheilt werden könnten. Und wir interessieren uns besonders für seine Wirkung auf ganz bestimmte Arten von Viren.« Er hielt inne. »Das ist vermutlich mehr, als Sie wissen wollten.«
    »Um was für Viren handelt es sich dabei?«
    »Um die Erreger der Enzephalomyelitis.«
    »Schließt das die Arbeit mit lebenden Tieren ein?«
    »Sicher.«
    »Was für Tiere?«
    »Ratten. Gelegentlich auch Mäuse und Hamster. Bei einer ganz bestimmten Untersuchung haben wir sechs Monate lang mit Primaten gearbeitet, aber das war eine Art Nebengleis, bei dem nur ein Teilproblem untersucht werden sollte.«
    »Haben Sie jemals mit tollwütigen Tieren gearbeitet?«
    »Tollwut? Nein.«
    »Arbeitet irgend jemand in diesem Haus mit tollwütigen Tieren?«
    »Nicht, daß ich wüßte.« Dr. Morton drehte sich zur Seite und schaute Haydon gelassen an. »Detective Haydon, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir erklären würden, was Sie wissen wollen und warum.«

30
     
    Haydon umriß die Ermittlungen in chronologischer Reihenfolge und erklärte, so viel er konnte, ohne bestimmte Details preiszugeben, die er lieber zurückhalten wollte. Mortons leidenschaftsloses Gesicht zeigte ein wenig Bewegung, sobald er die Bedeutung dessen, was er da hörte, begriff. Als Haydon schließlich den Namen Guimaraes erwähnte, bildeten sich um Dr. Mortons Augen kleine Fältchen. Es war sein einziges Zugeständnis an das Entsetzen und die Sorge, die er empfinden mußte. Haydon enthüllte ihm nicht, daß Rafaels Onkel hinter dem Mädchenhandel steckte, aber er machte klar, daß Rafael mit diesen fremden Mädchen und den Callgirls schon seit längerer Zeit und in ziemlich umfangreicher Weise zu tun hatte.
    Danach schwieg Morton eine ganze Weile, und seine Augen starrten ernst auf die Tafel hinter seinem Labortisch. »Sind Sie ganz sicher, daß – daß Rafael das tut?« fragte er schließlich und starrte weiterhin auf die Tafel.
    »Nein, keineswegs«, antwortete Haydon. »Ich habe keine direkten, handgreiflichen oder unumstößlichen Beweise. Und ich fürchte, ich werde auch keine bekommen. Was ich habe, sind nur Indizien.«
    »Aber Sie persönlich glauben, daß er es tut.«
    Morton schien eine bemerkenswerte Beobachtungsgabe zu

Weitere Kostenlose Bücher