Kalter Amok
gegenüber nicht mehr loyal, soweit es über die Gelder hinausgeht, die er für den Verleih seiner Importlizenz erhält. Wir nehmen nicht an, daß er die beiden schützen und dafür einen Mordprozeß riskieren wird. Mit dem, was er uns liefern kann, haben wir einen guten Fall – und wir haben die Aussagen von Mrs. Guajardo.«
»Ja, aber ich sehe diesen brasilianischen Boss als wunden Punkt – was die Publicity angeht«, sagte Dystal. Er hatte wegen der Anwesenheit des Captains darauf verzichtet, seine Füße auf die Schreibtischschublade zu legen. »Wir hatten bisher Glück mit diesen Mädchen. Wenn noch eine auftaucht, verspeist uns die Presse, wie eine Ente Junikäfer verschnabuliert. Bis jetzt ging es nur um diese armen Mädchen, und ich nehme an, ihre reizenden Sugar Daddies haben sie wie Abfall auf die Straßen geworfen. Wir können nicht ahnen, wie viele es noch gibt, die bis jetzt noch nicht aufgetaucht sind. Die Sitte versucht, eine Liste zusammenzustellen von diesen Mädchen, auf der Grundlage dessen, was wir ihnen bereits mitgeteilt haben. Ich hätte große Lust, diesem Guimaraes die Daumenschrauben anzuziehen, um die Namen all der Mädchen von ihm zu bekommen, die er ins Land gebracht hat. Ich möchte wissen, wie viele von ihnen noch frei herumlaufen.«
Captain Mercer beugte sich in seinem Sessel nach vorn und drückte beide Hände in der Nierengegend auf den Rücken.
»Wo wohnt eigentlich dieser Rafael?« fragte er und schaute dabei auf den Boden.
»Im Carrington«, antwortete Haydon. »Im vierundzwanzigsten Stock, mit Blick auf das medizinische Zentrum.«
»Aha«, sagte Mercer und massierte sich den Rücken von beiden Seiten; dabei schaute er gegen die Wand. Schließlich stand er auf. »Na schön – ich möchte, daß ihr mich auf dem laufenden haltet.« Er schaute erst Dystal und dann Haydon an. »Ihr habt gute Arbeit geleistet. Aber laßt uns jetzt vorsichtig sein, laßt uns nicht vergessen, daß er ein Verrückter ist, und gebt ihm keinen Spielraum. Viel Glück«, sagte er, nickte Hirsch und Mooney zu und ging dann hinaus.
Dystal zündete sich einen seiner stinkenden Glimmstengel an und stöhnte erleichtert, als er seine Füße auf die Schreibtischschublade legte. Mooney stellte einen leeren Milchkarton auf den Boden, setzte den Fuß darauf und verstärkte ganz allmählich den Druck, bis der Karton plattgedrückt war. Hirsch dachte darüber nach, wie schwierig es sein würde, Guimaraes zu beschatten, und Haydon sah in Gedanken Mercer vor sich, wie er sich den Rücken massierte, fragte, wo Guimaraes wohnte, und nur mit einem »Aha« antwortete, als er es erfuhr. Haydon hoffte, er verstand Mercers Frage und seine Reaktion auf die Antwort. Er hoffte, daß er sie verstand, weil er inzwischen bereits wußte, was er tun würde.
»Und wenn Rafael und sein Onkel gemeinsam in der Sache drinstecken?« fragte Hirsch. »Oder wenn mehrere Leute daran beteiligt sind?«
»Ich nehme an, das finden wir schnell heraus«, sagte Mooney, nahm den zerdrückten Karton und warf ihn in Dystals Abfallkorb. »Aber ich rechne nicht damit.«
»Wie eng soll die Beschattung erfolgen?« fragte Hirsch.
»Wenn er sich im Krankenhaus aufhält oder im medizinischen Institut, will ich nur sicher gehen, daß er auch dort ist. Wir brauchen seinen Stundenplan, wann er im Labor ist, wann er Vorlesungen hat, wann er seine Visiten macht. Er arbeitet mit Doktor Morton an einem Spezialprojekt, also wird sein Stundenplan etwas anders aussehen als der seiner Kommilitonen. Ich werde mir den Stundenplan über Mortons Büro besorgen, aber ich will wissen, ob er sich daran hält. Wenn er nicht beim Studium ist, möchte ich wissen, wohin er geht und wen er besucht. Er führt uns vielleicht zu anderen brasilianischen Mädchen, und die könnten uns wieder zu anderen führen. Aber seid sehr vorsichtig. Wenn ihr ihn aus den Augen verlieren müßt, um nicht erkannt zu werden, dann laßt ihn lieber laufen und nehmt die Überwachung später wieder auf. Er darf auf keinen Fall merken, daß er beobachtet wird.«
Aus der Ferne sahen die Gebäude des medizinischen Zentrums von Texas aus wie das Modell eines Architekten von einem Komplex, der erst noch errichtet werden mußte, einschließlich der Umgebung. Das harte Sommerlicht warf Schatten an allen Ecken der weißen, geradlinigen Bauwerke, genau wie es die Architekten berechnet hatten. Die bronze- und rauchgetönten Fenster wirkten wie dunkle, rechteckige Bänder oder unterbrochene Linien, die
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