Kalter Amok
der sicheren Geschicklichkeit einer Ballerina hochhob. Er packte es mit einer Hand, klemmte es sich unter den Arm und ließ die Nadel der Spritze in die große, bläuliche Vene hinter dem Knie gleiten. Dann leerte er die Spritze.
Als er das Bein losließ, hielt sie es noch einen Augenblick hoch, bevor sie es sehr ruhig und ganz langsam sinken ließ. Sobald es den Boden berührte, fühlte sie die Wirkung des Heroins. Ihre Arme sanken nach unten, und die fette Katze sprang von ihrem Schoß. Mit langsamen Bewegungen rollte Stephany die Augen nach oben; dabei streckte sie das eine Bein auf den Teppich aus, während sie das andere unter ihrem Körper hatte.
Gal Costa sang das wunderschöne India, als Rafael zur Bar ging und sich einen Smirnoff einschenkte. Er schaute hinüber zu dem Plastiksessel, von dem aus sich Stephany langsam auf den Teppich gleiten ließ und sich die Bluse vom Leib riß, während sie sich auf dem Boden wand. Sie hatte sie noch nicht ganz ausgezogen, als sie sich in eine embryoartige Stellung begab und danach nicht mehr bewegte. Rafael ging zur Fensterwand und trank seinen Wodka, während er zusah, wie der malvenfarbene Himmel hinter dem funkelnden Gesicht der Stadt allmählich purpurrot wurde.
29
Die Telefonate, die Dystal beaufsichtigt hatte, ergaben, daß ungefähr ein Drittel aller Apotheken in der Stadt den Tollwut-Impfstoff vorrätig hatten und daß Petra Torres mit keinem der Torres’ in der Stadt verwandt war. Das heißt, niemand gab zu, sie zu kennen. Auch Hirsch hatte eine Marathonsitzung am Telefon hinter sich, um die Berufe der Männer herauszufinden, deren Namen in dem Notizbuch verzeichnet waren, welches Haydon in dem roten Zimmer gefunden hatte. Es war eine unangenehme Aufgabe, und ungefähr ein Viertel der achtundsiebzig Namen in dem Buch konnten überhaupt nicht ausfindig gemacht werden. Von den Personen, die man ermittelt hatte, war nahezu ein Drittel von zurückhaltenden Ehefrauen oder Sekretärinnen abgeschirmt, die auf Hirschs Frage höchst argwöhnisch reagierten; die übrigen waren Geschäftsleute, mit einer Ausnahme: ein Tierarzt in Bellaire, den niemand ernsthaft als Täter in Betracht zog, nachdem man ihn befragt hatte.
Captain Mercer zupfte an der losen Haut an seinem Hals und schaute unter dem dichten, zerwühlten Schopf grauen Haars hervor.
»Ich glaube, die Folgerungen sind ziemlich stichhaltig. Ich würde mein nächstes Gehalt darauf setzen, daß Sie den Mann gefunden haben. Aber…« Er schüttelte den Kopf und dachte darüber nach. Mercer war schon lange im Dienst und im Lauf der Jahre sehr vorsichtig geworden. Sie wußten alle, was er meinte. Es würde ungeheuer schwer werden, harte Beweise gegen Rafael Guimaraes zu finden.
»Und was wollt ihr nun machen?« fragte Dystal und schaute Haydon an. Sie waren wieder in seinem Büro, weihten Captain Mercer in ihre Ermittlungen ein und folgten dabei der üblichen Prozedur.
»Als erstes möchte ich diesen Rafael überwachen lassen. Leo und Ed sollen noch heute damit anfangen. Ich möchte mit Dr. Morton sprechen, seinem Professor an der Universitätsklinik. Früher oder später müssen wir ja doch Außenstehende einweihen. Es kann sein, daß der Professor nicht der richtige Mann ist dafür, aber das weiß ich erst, wenn ich mit ihm gesprochen habe. Dann möchte ich – vorausgesetzt, es läuft so, wie ich mir das erhoffe – mit Paulo Guimaraes über dieses Prostitutionsgeschäft reden.«
»Wollen wir denn da dranbleiben? Sollten wir diese Sache nicht dem Sittendezernat übergeben?« fragte Mercer.
»Wir sollten sie noch eine Weile selbst in der Hand behalten. Wir nehmen nicht an, daß sie über diese etwa fünfzehn Mädchen hinausgeht, und wir glauben auch nicht, daß sie über Guimaraes hinausgeht. Wir haben über das Büro des Staatsanwalts mit Russ Million gesprochen, und er rät uns, den Fall vorläufig geheimzuhalten. Wenn er sich tatsächlich ausweiten sollte und uns von unserer Arbeit hier abhält, können wir ihn immer noch an die Sitte weitergeben. Aber das steht momentan keineswegs fest.«
»Dann glauben Sie, daß Longoria ein brauchbarer Zeuge ist? Fürchten Sie nicht, daß er im letzten Augenblick doch den Schwanz einzieht?«
»Das glauben wir nicht. Er hat noch nie zuvor irgendwelche Schwierigkeiten mit dem Gesetz gehabt. Wir sind ziemlich sicher, daß er sich zu einem Handel entschließt und alles ausspuckt. Er sieht das Menetekel an der Wand für DeLeon und Guimaraes und verhält sich ihnen
Weitere Kostenlose Bücher