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Kalter Amok

Titel: Kalter Amok Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David L. Lindsay
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haben. Haydon war sicher, daß er nichts gesagt oder getan hatte, was seine persönlichen Gefühle ausdrückte.
    »Ja. Ich glaube, daß er derjenige ist.« Es hätte wenig genützt, einem Mann wie Dr. Morton mit Ausflüchten zu kommen. »Ich sage Ihnen offen, Doktor, eine solche Untersuchung treibt einen Kriminalbeamten zum Wahnsinn. Sie führt oft zu den frustrierendsten Aspekten unseres Berufs: Wir sind absolut sicher, daß sich ein Individuum eines Mordes schuldig gemacht hat, und müssen zusehen, wie dieses Individuum sein Leben fortführen kann, als hätte es kein Verbrechen gegen die Menschheit begangen, hätte nicht Angst und Schmerz verbreitet – nur weil es uns nicht gelingt, genügend Beweise beizubringen, die vor einem Gericht standhalten, wie man so schön sagt. Das kommt weit häufiger vor, als es sich die Öffentlichkeit vorstellt.«
    Dr. Morton schaute Haydon jetzt wieder an; seine Augen zeigten immer noch die Kummerfältchen in den äußeren Augenwinkeln, was seinem Blick eine seltsame Intensität verlieh.
    »Aber habe ich nicht gelegentlich von ›überwältigenden Indizienbeweisen‹ gehört?«
    »Sicher. Im Fernsehen ist das meist das, womit der Staatsanwalt den ›Verdächtigen‹ überschüttet, was dann zu einem Geständnis führt. Aber das ist ungefähr so realistisch wie Trapper John. Erstens ist es äußerst schwierig, Indizienbeweise in genügend großem Umfang bei Gericht vorzutragen und damit die Geschworenen dahingehend zu beeindrucken, daß die Schuld des Individuums über jeden vernünftigen Zweifel hinweg erwiesen ist. Und zweitens würde kein Verteidiger, der sein Honorar wert ist, seinem Klienten erlauben, in eigener Sache auszusagen – bei einem Fall, der nur durch Indizien bewiesen werden kann –, aus dem sehr triftigen Grund, weil er damit einen ansonsten wasserdichten Verteidigungsfall wegen irgendwelcher psychischer Instabilitäten seines Mandanten verlieren könnte.
    Und aus der Perspektive des Anklägers wäre es nicht klug, unter solchen Bedingungen einen Prozeß zu riskieren, weil der Verdächtige, wenn er freigesprochen wird – was wahrscheinlich ist, solange nur Indizienbeweise gegen ihn vorliegen – nie mehr für dasselbe Verbrechen vor Gericht gestellt werden könnte, selbst dann nicht, wenn sich in Zukunft handfeste Beweise ergeben würden.«
    »Also ein Dilemma«, sagte Morton.
    »Ja, und ein äußerst schwieriges. Wenn es dem Büro des Staatsanwalts möglich wäre, den Geschworenen jeden kleinen Puzzlestein von Indizien zu präsentieren, wie wir sie in solchen Fällen gegen die Individuen gesammelt haben, würde es uns ohne Zweifel gelingen, die zwölf Leute von der Schuld des Angeklagten zu überzeugen. Oft sind solche Beweise in der Tat überwältigend. Sie sind so sicher, wie ein Schuldgeständnis des Angeklagten. Man könnte es dazu bringen, daß die Geschworenen ebenso von der Schuld überzeugt sind wie wir. Sie würden wütend werden, dann angeekelt – und schließlich frustriert. Und sie würden das Urteil ›nicht schuldig‹ sprechen. Indizienbeweise, in welchem Umfang sie auch vorgebracht werden mögen, sind kein Beweis, der nicht auch die Möglichkeit des Zweifels offenließe, und genau das ist es, was ihnen der Verteidiger eintrichtern würde. Ich glaube, sehr wenige Geschworenengerichte würden sich in solchen Fällen trotz der Möglichkeit eines Zweifels zu einem Schuldspruch hinreißen lassen.«
    Hinter ihnen ging oben die Tür zum Auditorium auf, und zwei Studenten kamen herein, unterhielten sich miteinander und gingen zwischen den Reihen hindurch nach unten. Dr. Morton drehte sich um und wandte sich an den größeren der beiden, der eine Diätlimonade trank. Er hatte den Stiernacken eines Footballspielers.
    »Mr. Jackson.«
    Der Junge unterbrach das Gespräch mit seinem Begleiter und schaute zu ihnen herunter. »Ja, Sir?«
    »Tun Sie mir einen Gefallen, ja?«
    Der Junge wartete.
    »Nehmen Sie ein Blatt Papier und schreiben Sie darauf, daß die Elf-Uhr-Vorlesung verlegt wurde; befestigen Sie den Zettel an der Tür. Und sagen Sie Ihren Kollegen, daß ich den neuen Termin der Vorlesung rechtzeitig bekanntgeben werde.«
    »Ja, Sir.« Die beiden Jungen grinsten und gingen rasch hinaus.
    »Danke«, sagte Morton hinter ihnen her, aber sie hörten es nicht. Danach wandte er sich wieder an Haydon. »Und wie glauben Sie, daß ich Ihnen helfen könnte?«
    »Wegen der Stellung, die Guimaraes unter Ihren Studenten einnimmt, und wegen seiner beruflichen

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