Kalter Amok
in den Falten um seine Augenwinkel andeuteten; dabei schaute er an Haydon vorbei ins Leere. Haydon sah, daß der Professor bereits ziemlich viel über den Fall Rafael Guimaraes nachgedacht haben mußte.
»Und was haben Sie getan?« fragte Haydon.
»Ich habe einen langen Bericht abgefaßt, in dem ich ausführlich niederlegte, was ich Ihnen jetzt in kurzen Umrissen beschrieben habe. Ich empfahl dringend, die Prüfungskommission sollte sich mit der Akte Guimaraes befassen und man sollte ihn einer ausführlichen psychologischen Untersuchung unterziehen. Persönlich fügte ich hinzu, daß man ihm die Zuteilung eines medizinischen Diploms versagen sollte, und gab dafür detaillierte Gründe an. Ich habe meinen Bericht bereits der Prüfungskommission übergeben.«
»Wann war das?«
»Ungefähr vor drei Wochen.«
»Hat man inzwischen mit Ihnen darüber gesprochen?«
»Morgen findet eine Besprechung statt.«
»Werden Sie von meinem Besuch berichten müssen?«
»Zweifellos.«
»Aber Sie machen der Kommission klar, daß es sich nur um einen Verdacht handelt, ja? Bis jetzt kann man ihm keinerlei Schuld nachweisen.«
»Natürlich.«
»Und was wird geschehen?«
»Ich rechne mit einer Untersuchung, die mühsam und schwierig sein wird. Schließlich wird man Guimaraes vorladen und ihm nahelegen, sich von der medizinischen Fakultät zurückzuziehen, weil sonst die Fakultät gezwungen wäre, ein Ausschlußverfahren in die Wege zu leiten. Das alles dürfte verzögert werden durch diejenigen, die empfindlich reagieren, was den beträchtlichen finanziellen Einfluß seines Onkels betrifft. Aber ich bin sicher, es wird zu einem für uns befriedigenden Ende kommen. Und es wird nicht wenige geben, die dieses Ende herbeiführen aus Angst vor einem Skandal. Es gibt nichts Schlimmeres in der medizinischen Gesellschaft als die Angst vor einem Skandal.«
Haydon konnte es nicht länger rechtfertigen, die Machenschaften des älteren Guimaraes zu verschweigen.
»Auch ich bin nicht ganz offen gewesen mit Ihnen, Dr. Morton«, sagte er. »Ich meine, Sie sollten wissen, und die Universität sollte wissen, daß auch Paulo Guimaraes von der Polizei überwacht wird. Und gegen ihn haben wir harte Beweise. Beweise, wie sie jedes Gericht anerkennen wird. Wir können ihm zur Last legen, daß er brasilianische Mädchen in die USA schmuggelt, um sie als Prostituierte zu benützen. Er ist derjenige, der hinter dem Geschäft steht, in das auch Rafael verwickelt ist – auf seine Weise.«
Mortons Gesicht war völlig ausdruckslos. »Mein Gott«, flüsterte er nur.
»Ich muß Sie jetzt bitten, in den nächsten paar Wochen nichts gegen Rafael zu unternehmen, was ihn veranlassen könnte, seine Gewohnheiten in irgendeiner Weise zu ändern. Jede größere Störung seines derzeitigen Lebens könnte es uns unmöglich machen, irgendwelche substantiellen Beweise gegen ihn zu sammeln. Können Sie mir garantieren, daß Sie sich vorläufig zurückhalten? Mindestens für zwei, drei Wochen?«
»Ich kann es versuchen. Aber ich muß mit dem Komitee darüber sprechen. Es ist seine Entscheidung.«
»Würde es helfen, wenn ich mit dem Komitee spreche? Wenn ich die Situation erkläre?«
»Nein. Das nehme ich selbst in die Hand. Wenn ich Ihnen nicht zusichern kann, was Sie wünschen, werde ich es Ihnen mitteilen. Dann können Sie es immer noch versuchen.«
»Ein guter Vorschlag«, sagte Haydon.
31
Die letzte Juliwoche wich nur langsam, und der August kam schwül mit Rekordtemperaturen, die die mit Schlaglöchern übersäten Straßen schmelzen ließen, bis sie weich waren, Blasen zogen und in der Hitze flimmerten – vom Vormittag bis nach Einbruch der Dunkelheit. Die Golfwinde, die die aschgrauen Wolken über die Buchten hereintrieben, hatten nachgelassen, als wären sie von den grauen Wellen mit ihren weißen Kämmen aufgesogen worden. Die Fahnen am Astrodome hingen schlapp und ausgeblichen im Licht, das die Stadt versengte; die feuchte Luft blockierte die Motoren der Wagen auf den Schnellstraßen und trieb die Stimmung in den barrios und Slums zum Explodieren, woraufhin die Statistik wieder einmal belegen konnte, daß im August die meisten Tötungsdelikte des Jahres stattfanden.
Hirsch und Mooney hatten die letzten zehn Tage abwechselnd mit einem anderen Team damit verbracht, Rafael zu beschatten. Sie hatten die Abend- und die Nachtschicht übernommen, nachdem sie herausgefunden hatten, daß der Tagesverlauf von Guimaraes weitgehend nach Routine verlief,
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