Kalter Amok
den alten Mann festgenommen. Haydon versicherte ihm, daß das nicht der Fall sei, und beruhigte den Anwalt nach einem längeren Gespräch. Als er endlich den Hörer aufgelegt hatte, nahm Haydon per Funk Kontakt auf mit den zwei Kriminalbeamten, die DeLeon bewachten, und sagte ihnen, sie sollten den Anwalt ins Präsidium bringen. Am späten Nachmittag wurde DeLeon darüber informiert, daß Guimaraes gestorben war; außerdem wurde in allen vorher besprochenen Punkten Anklage gegen ihn erhoben. Innerhalb von Stunden hatte sich DeLeon des Rechtsbeistandes von Dane Massey, dem einflußreichsten Strafverteidiger von Houston, versichert. Beide waren nur allzu bereit, Haydons Wunsch zu entsprechen und die Festnahme wie die Anklage geheimzuhalten.
Während Haydon und Russ Million sich mit DeLeon und Massey befaßten, saß Leo Hirsch an einem kleinen Tisch in der Cafeteria des Hermann-Hospitals und beobachtete Rafael, der von einem der öffentlichen Telefone direkt am Eingang zur Cafeteria aus mit jemandem sprach. Zur gleichen Zeit saß der Sprachprofessor Sergio Thomases in einem Reparaturwagen der Southwestern-Bell-Telefongesellschaft vor dem Sutherland-Luxus-Apartmenthaus mit Aussicht auf die Buffalo Bayou und den Memorial Park. Im Inneren des Wagens war es brütend heiß. Thomases, dem Kriminalbeamten und dem Techniker, die bei ihm waren, tropfte der Schweiß aus allen Poren, obwohl sie die hintere Tür des Wagens geöffnet hatten, um sich ein wenig Durchzug zu verschaffen. Die Nachtluft draußen war totenstill.
Thomases und die beiden anderen hatten ihre Kopfhörer nach hinten geschoben und tranken kalte Cola aus einer Kühlbox, als die Telefonleitung klickte und der Kontrollapparat klingelte. Der Techniker schaltete den Rekorder ein, und die großen Chromspulen begannen sich hinter ihnen zu drehen, während sich Thomases nach vorne beugte, die Ellbogen auf die Knie stützte und das Gespräch abhörte.
Rafaels Stimme war leise und nur wenig moduliert, was das sonst so musikalische Portugiesisch leblos erscheinen ließ. Er sprach mit dem Mädchen, ohne sich zuvor zu erkennen zu geben.
»Ich möchte heute abend zu dir kommen.«
Es dauerte einen Augenblick, bis das Mädchen seine Stimme erkannte. Thomases hielt den Atem an. Er wußte, daß die Polizei vier oder fünf Stunden Zeit brauchte, um den Raum zu präparieren.
»Ach, Rafael.« Sie lachte kehlig. »Nein, nein, er ist hier, in der Stadt. Heute abend geht er mit seiner Frau aus. Kann sein, daß er nach dem Abendessen herkommt. Aber morgen, was meinst du? Morgen früh fährt er für ein paar Tage weg.«
»Das weiß ich«, sagte Rafael. »Nein, morgen nicht.« Er gab keine Erläuterung dazu.
»Vielleicht morgen abend?« fragte sie hoffnungsvoll.
Rafael gab keine Antwort. Im Hintergrund hörte Thomases Leute miteinander sprechen. Ihre Stimmen waren erst laut, dann wurden sie leiser. Man hatte ihm gesagt, daß Rafael möglicherweise von der Cafeteria des Krankenhauses anrufen würde, und daß er nicht leicht zu verstehen sein würde. Aber es war kein Problem.
»Ich habe guten Schnee«, sagte er schließlich.
Sie lachte und sagte dann leise: »Also, morgen abend?«
Rafael gab keine Antwort.
Thomases, der sich mit dem Anzapfen von Telefonleitungen nicht auskannte, fragte sich, ob Rafael etwas bemerkt hatte. Er schaute den Techniker an im schwachen Licht der kleinen, blinkenden Kontrollämpchen. Der junge Mann schüttelte den Kopf und grinste dazu.
»Also, morgen abend?« fragte das Mädchen noch einmal.
Die Spulen des Tonbandgeräts drehten sich, sammelten jedes Geräusch, eine entfernte Stimme, ein unterdrücktes Lachen.
»He, Rafael«, sagte das Mädchen.
»Okay«, antwortete er. »Aber nicht dort. In einem Hotel.«
»Es ist mir egal, wo«, sagte das Mädchen.
»Im Hyatt Regency gibt es Suiten mit Stereoanlagen«, erklärte Rafael. »Ich werde eine für morgen abend mieten, auf deinen Namen. Ich komme um neun.«
»Gut – ich bringe die Schallplatten«, sagte sie.
»In Ordnung.« Dann hatte Rafael aufgelegt.
Der Techniker spulte das Band rasch zurück und ließ es noch einmal ablaufen für Thomases, der den Text Wort für Wort auf Englisch wiederholte und in einen kleinen Kassettenrekorder der Polizei sprach. Zugleich wurde das Originalgespräch auf eine andere Kassette kopiert. Der Kriminalbeamte steckte beide Kassetten in seine Tasche und verließ den Reparaturwagen. Minuten später fuhr er die San Felipe hinunter, fast sechs Meilen von der
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