Kalter Amok
geheimzuhalten. Er bat die Geschäftsleitung, jeden in Guimaraes’ Wohnung zu beordern, der etwas über seinen Tod wußte, und informierte diese Leute dann darüber, daß der Verstorbene seit einiger Zeit von der Polizei von Houston überwacht wurde und daß das Präsidium wünsche, diesen Todesfall streng geheimzuhalten. Er deutete Folgen an für denjenigen, der auch nur einen Ton gegenüber irgend jemandem außerhalb dieses Raumes verlauten lasse. Und jeder schien dafür Verständnis zu zeigen.
Ein Wagen des Coroners traf ein, ohne Blinklampen, und fuhr über die Rampe auf der Rückseite hinunter ins Tiefgeschoß. In der Wohnung von Guimaraes blieb ein Polizeibeamter zurück, für den Fall, daß sie jemand unangekündigt betreten würde, und man kam überein, daß niemand an eines der Telefone von Guimaraes gehen sollte, bis sie von der Polizei freigegeben würden. Die Geschäftsleitung würde die Benachrichtigung der Verwandten der Polizei überlassen und sich völlig ahnungslos geben, falls sich jemand nach dem Aufenthalt von Mr. Guimaraes erkundigen sollte.
Schließlich war alles geregelt, und alle waren gegangen bis auf Haydon, Hirsch und den Polizeibeamten, der in der Suite bleiben sollte. Haydon wanderte im Wohnzimmer auf und ab und blieb schließlich an den Fenstern stehen. Die Wohnung ging nach Osten hinaus mit Blick auf das Zentrum, so daß der Einbruch der Nacht von hier aus nicht den üblichen farbenfrohen Sonnenuntergang zeigte. Die Dämmerung kam kaum merklich, vielleicht ebenso, wie der Tod Paulo Guimaraes im Schlaf überrascht hatte. Aber vom siebenundvierzigsten Stock aus war es klar, daß es hier keine ewige Finsternis geben würde. Fast ebenso rasch, wie die Dämmerung über die Stadt hereinbrach, wurde sie durchstoßen und durchlöchert und schließlich erobert von Milliarden einzelner Lichter, den Symbolen des Lebens, die sich bis hinaus zur Küste an der Galveston Bay erstreckten.
34
Während der nächsten achtundvierzig Stunden wich Rafael nicht von seinem bereits bekannten Zeitplan ab: Er nahm an den Visiten im Krankenhaus teil, hörte Vorlesungen an der Universität und arbeitete an Mortons Forschungsauftrag im Labor. Abends fuhr er nach Hause in seine schwarze Höhle. Hirsch und Mooney schoben den Papierkram schließlich beiseite und bestanden darauf, bei der Überwachung abwechselnd mitzumachen. Jeder fühlte, wie sich die Spannung steigerte, und jeder wollte an den entscheidenden Ereignissen, die zu Rafaels Festnahme führen würden, teilhaben.
Mit Genehmigung von Dr. Morton wurde einem Team vom technischen Dienst der Polizeibehörde Zugang zum Labor gewährt. Es sammelte Fingerabdrücke von den Instrumenten, die nur von Rafael benützt wurden, Haare aus einem Kamm in der Tasche von einem seiner Labormäntel, die in seinem Spind hingen, Speichelspuren von zerkauten Bleistiften in seinem Schreibtisch und Haarproben von einem Rasierapparat, den das Team ebenfalls in seinem Schreibtisch gefunden hatte. Sie wußten nicht, ob sie diese Proben jemals brauchen würden, aber Haydon bestand darauf, soviele Beweise wie möglich zu sammeln, damit man sie im Zweifelsfall gegen Rafael verwenden konnte. Das Team suchte auch nach Spuren des Tollwutvirus unter den Vorräten von Viren, die Rafael bei seiner Arbeit für Dr. Mortons Forschungsauftrag aufbewahrte.
Am Nachmittag des zweiten Tages hatten sie die Viren entdeckt: sechs Fläschchen in einem Tiefkühlschrank, der nur von Rafael und Dr. Morton benützt wurde. Die Fläschchen waren beschriftet mit dem Namen eines Arbovirus, der die venezolanische Pferde-Enzephalomyelitis verursachte. Die Fläschchen wurden fotografiert und ihr Inhalt durch eine harmlose Salzlösung ersetzt, die dieselbe Konsistenz und dasselbe Aussehen wie die Originallösung hatte. Das Präparat mit dem Virus wurde als Beweis sichergestellt. Daß sie Rafaels Vorrat von Viren ohne sein Wissen durch eine harmlose Flüssigkeit ersetzen konnten, war ein Glücksfall, mit dem Haydon nicht gerechnet hatte. Wenn Rafael den Inhalt beim nächsten Mädchen in gehabter Weise benützte, konnte der Verteidiger nicht ins Gefecht führen, daß die Strafverfolgungsbehörde rücksichtslos vorgegangen war und zugelassen hatte, daß sein Mandant das Mädchen mit einem tödlichen Virus infizierte.
Am gleichen Nachmittag rief Robert DeLeon bei Haydon an. Er hatte seit zwei Tagen erfolglos versucht, mit Paulo Guimaraes Kontakt aufzunehmen. DeLeon war wütend und befürchtete, die Polizei habe
Weitere Kostenlose Bücher