Kalter Amok
putzen.«
»Gut«, sagte Haydon. »Ich bereite den Papierkram für die formelle Anklage vor und wir verhandeln mit demjenigen, dessen Telefonnummer Rafael anruft.«
»Und was ist mit Guimaraes und DeLeon?« fragte Russ.
»Türmen Sie alles, was Sie sich ausdenken können, auf sie«, sagte Haydon rasch. »Am liebsten würde ich diese beiden festnageln und einen der anderen frei davonkommen lassen, wenn er uns hilft, die zwei hinter Schloß und Riegel zu bekommen. Ich will sie haben – selbst wenn wir alle anderen laufenlassen sollten.«
Jeder stimmte ihm zu.
»Aber«, ergänzte Haydon, »ich möchte, daß alles zurückgehalten wird, bis wir die Leitungen angezapft und Rafael in unsere Schußlinie bekommen haben. Wenn wir mit den Anklagen Wind machen, erfährt Rafael vielleicht davon und ändert seine Pläne. Also behalten wir zunächst alles für uns und versuchen, ihn zu schnappen.«
Innerhalb von acht Stunden nach dem Treffen beim Frühstück waren die Telefone der vier brasilianischen Mädchen angezapft. Der schwierigste Teil der Aktion war es gewesen, acht Männer zu finden, die in Schichten arbeiten konnten und Portugiesisch verstanden. Man fand vier Beamte, die bei der Spezialtruppe für mexikanische Einwanderer arbeiteten und in beschränktem Umfang Portugiesisch verstanden; die anderen mußte man von den sprachwissenschaftlichen Abteilungen der Rice University und der University of Houston anwerben.
Beamte des Morddezernats wurden von weniger dringenden Fällen abgerufen und zu einer Vierundzwanzig-Stunden-Bewachung Rafaels abgestellt, was Hirsch und Mooney von dieser Aufgabe befreite, so daß sie sich dem Papierkram für die Anklagen widmen konnten. Blieb noch das Problem, herauszufinden, wem die beiden Unbekannten aus dem Leichenhaus »gehörten«. Da in diesen Fällen die Leichen vorhanden waren, mußten sie ordnungsgemäß identifiziert werden – und das bedeutete den Beginn einer umfangreichen Korrespondenz mit der Polizei in Rio de Janeiro, die sich mit den Fotos der Toten in die dortigen Slums aufmachte. Eine hoffnungslose Aufgabe, an die keiner so recht glauben wollte. Zugleich hatte ihnen Arturo Longoria die Namen der drei Handelsschiffe genannt, die für die Schmuggelei benützt wurden, und die Namen der Schiffsoffiziere und Matrosen, welche in die Sache eingeweiht waren. Es wurden Haftbefehle ausgestellt, mit denen sie bei ihrem nächsten Landgang in den Vereinigten Staaten verhaftet werden konnten. Der Zollbeamte am Houston-Schiffskanal, der ebenfalls in der Sache steckte, wurde gefaßt und in Haft genommen.
Um vier Uhr am selben Nachmittag saßen Mooney, Hirsch und Haydon in ihrem kleinen Büro, das vom Bereitschaftsraum abgetrennt war, hatten die Schreibtische voller Akten, und ihre Monitore leuchteten grün, während sie die Berichte eintippten. Das Telefon klingelte, und Haydon nahm den Hörer ab. Es war Dystal. Haydon rollte seinen Sessel rückwärts zur offenen Tür des Büros und schaute hinüber zur Glaswand von Dystals Büro. Er sah, daß der Lieutenant sich über das Telefon gebeugt hatte wie ein Bär, mit dem Rücken zum Bereitschaftsraum.
»Stu, wir haben gerade einen Anruf vom Sicherheitspersonal in den Shelbourne Towers erhalten. Sie fordern ein diskretes Team in Zivil an, das hinkommen und einen Selbstmord untersuchen soll. Sieht so aus, als ob es Guimaraes wäre.«
Haydon schaute auf die Wanduhr im Bereitschaftsraum und rollte dann seinen Stuhl zum Schreibtisch zurück.
»Gott sei Dank, daß sie sich richtig verhalten haben. So können wir die Sache ohne Aufsehen erledigen. Leo und ich übernehmen das.«
Haydon rief Vanstraten an und verabredete sich mit ihm in den Shelbourne Towers, dann ging er mit Hirsch los.
Paulo Guimaraes war tatsächlich gestorben – in seinem Schlafzimmer mit Blick auf die Skyline von Houston. Aber er hatte nicht Selbstmord begangen. Vanstraten sagte, es sei ein Gehirnschlag gewesen. Die offene Flasche Schlaftabletten neben dem Bett, die das Hausmädchen gesehen und sie zu der Vermutung veranlaßt hatte, es könnte Selbstmord gewesen sein, war praktisch voll – es fehlten nur zwei Tabletten. Paulo Guimaraes hatte schlafen, nicht sterben wollen. Aber das Schicksal hatte sich wieder einmal als launisch erwiesen, mit Sinn für makabre Scherze. Es hatte ihn für länger schlafen lassen, als er beabsichtigte.
Haydon fand sich in völliger Übereinstimmung mit der Geschäftsleitung des Shelbourne, was den Wunsch betraf, Guimaraes’ Tod
Weitere Kostenlose Bücher