Kalter Amok
in den stillen Straßen entstanden Geschäfte, und einige der alten Häuser wurden in Kunstgalerien verwandelt, mit modischen Schönheitssalons in den oberen Stockwerken, oder in schicke Kanzleien junger, aufsteigender Anwälte, die der Innenstadt zwar nahe, aber nicht allzu nahe sein wollten.
Dazu hatten sich die Homosexuellen der Stadt auf Montrose gestürzt, wie sich ein bunter Schmetterling auf eine verbleichende Rose stürzt, und die Westheimer Straße, die Hauptarterie, die sich vom Westteil des Zentrums bis zum Loop 610 durch das Viertel zieht, war zu einem Boulevard mit Massagesalons, Knutschklubs, Läden für Body-Art, und »In«-Restaurants mit hängenden Grünpflanzen, Neonkunst und Oben-ohne-Bedienungen geworden. Auch die Kriminalitätsrate hatte sich verändert. In Montrose wurde jetzt ein wesentlicher Prozentsatz der Tötungsdelikte von Houston begangen.
Aber das Boheme-Leben von Montrose erstarrte unter dem festen, selbstgerechten Blick von Broad Acres, dem Nachbarviertel, wo Haydon in einer Welt lebte, die sich noch nicht verändert hatte und voraussichtlich auch nie verändern würde. Älter als River Oaks, die Enklave der nouveau riche, war Broad Acres exklusiv mit der Patina der Geschichte versehen, die das Protzige seiner Häuser milderte. Hier verstand man das Leben in Begriffen einer ganz anderen Realität. Es gab keine gequälte Humanität, die bis zum Wahnsinn nach dem so schwer zu fassenden Etwas suchte, das man nur durch unaufhörliche Veränderungen zu finden hoffte. Hier waren die Heiterkeit und die Gelassenheit zu Hause. Die Familien in ihren stattlichen Häusern wußten genau, wer sie waren, wohin sie gingen und vor allem, woher sie kamen. Alter Geldadel.
Als Haydon das Fenster herunterkurbelte, um durch den Duft der frischgemähten Rasenflächen die Hitze und die abgestandene Luft fortzuspülen, die sich bei der Fahrt durch das Zentrum im Wagen angesammelt hatte, tönte der Schlag der Turmglocken der Rice-Universität über die mit alten Eichen bestandenen Wiesen. Haydon hielt an der säulenbewehrten Einfahrt zu seinem Haus, drückte auf den Knopf der Fernbedienung und wartete darauf, daß sich die schmiedeeisernen Tore öffneten. Sein Blick fiel auf einen moosgrünen Fleck, der sich vom Schieferdach bis zu einem Sandstein-Fenstersturz im zweiten Stock ausbreitete. Er fragte sich, ob er das Dach hätte nachsehen lassen sollen. Wie lange hielten Schieferdächer? Wahrscheinlich ewig.
Er fuhr durch das Tor die ziegelgepflasterte Auffahrt entlang zur porte cochère, wo er den sandfarbenen Dienstwagen hinter seinem eigenen, königsblauen Jaguar Vanden Plas parkte. Nachdem er aus dem Wagen gestiegen war, ging er zum Rand des Rasens, um auf Cinco, den alten Collie, zu warten, der bereits dahertrottete von seinem Versteck hinter der verästelten Glyzinie, die über die ganze Vorderfront wucherte. Cinco fiel kurz in eine Art Trab, dann verlangsamte er zu einem gemäßigten Hoppeln. Obwohl jeder Sommer seinen Zoll von dem alten Hund forderte, stand seine Rute mit der weißen Spitze senkrecht nach oben und wedelte wie ein Metronom hin und her, als er sich Haydon näherte, der den Hund streichelte und mit ihm sprach. Haydon liebte den Collie mit einer Art melancholischer Zuneigung. Cincos Schnauze wurde in kauziger Weise grau, und an den Rändern der Nase und an den Spitzen der Ohren erschienen kleine Flecken, wie Leberflecke an den Händen alter Menschen.
Die beiden gingen halb um das Haus herum, vorbei an einer sanft geschwungenen Laube, die ganz mit Klematis überwuchert war, zu einem breiten, von Mauern begrenzten Rasen, auf dem Zitrusbäume wuchsen. In ihrem täglichen Ritual wanderten Herr und Hund durch die grasbewachsenen Baumreihen, während Haydon den Ansatz der Sommerfrüchte prüfte und sich vornahm, Pablo daran zu erinnern, daß er jetzt den Dünger wechseln sollte. Eine Lachtaube gurrte in den Ebenholzbäumen, als sie zum Haus zurückschlenderten. Sie gingen die Terrassentreppe hinauf, Cinco mit vorsichtigen, arthritischen Bewegungen, Haydon mit Rücksicht auf den alten Hund lässig und langsam. Oben angekommen, waren die riesigen Terracotta-Pflanztröge, die an der Balustrade standen an der Reihe. Cinco wartete schläfrig, während Haydon bei jedem Pflanztrog stehenblieb und eine einzelne Blüte von den üppigen Bougainvilleen zupfte, deren kirschrote Kelche im Schatten wie ein Feuerwerk wirkten.
Cinco streckte sich glücklich auf den kühlen Boden der Terrasse aus, während
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