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Kalter Fels

Kalter Fels

Titel: Kalter Fels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Koenig
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vielmehr, als hätte Marielle die rote Abschalttaste gedrückt.
    »Mach dich nicht verrückt«, sagte Schwarzenbacher. »Lass uns in die Stadt fahren. Von mir aus zu Hosp. Mit ihm können wir beraten, was zu tun ist. Aber ich wette, bis wir bei der Kripo eintreffen, hat sich Marielle längst gemeldet.«
    Pablo blieb skeptisch. Aber er wusste so gut wie Schwarzenbacher, dass sie jetzt wirklich nicht viel mehr tun konnten, als auf der alten Brennerstraße nach Innsbruck hinunterzufahren und erst einmal abzuwarten. Es war ja erst drei viertel vier. Noch war der Tag lang.
    * * *
     
    Als Marielle ihr Handy zum ersten Mal summen hörte und die Vibration an der Seite spürte, erschrak sie.
    Ich hab vergessen, das Handy auszuschalten, dachte sie.
    Es hatte diesen einen entscheidenden Moment gegeben, wo ihre innere Stimme zur Umkehr geraten hatte, sie aber nicht umgekehrt war. Im selben Moment hatte sie sich eingestanden, nicht wegen der Natur, nicht wegen der Berge und des Bergsteigens hier zu sein – sondern einzig und allein, weil sie wissen wollte, ob Ferdinand Senkhofer hier, im unwegsamen Gelände, ein Versteck gefunden haben könnte.
    Das Signal des Handys war nicht laut, aber sie musste annehmen, dass es hier, ein gutes Stück oberhalb der Straße, schon weithin zu hören war. Und sie wollte nicht, dass es jemand hörte.
    Ihr Gefühl sagte ihr, dass jemand in der Nähe war. Es gab nicht das geringste Anzeichen dafür, und doch war sie von der Richtigkeit ihrer Annahme überzeugt.
    Als sie beschlossen hatte, nicht umzukehren, nicht hinunterzulaufen ins Tal, zur Straße, zur Tankstelle nahe dem Grenzübergang, hatte sie sich lautlos vorgesagt: »Ich bin nicht auf der Jagd.«
    Und ich spiel auch nicht Polizei, hatte sie gedacht. Ich hätte nur zu gern ein kleines Indiz, dass dieser Mann hier gewesen sein könnte, es vielleicht immer noch ist.
    Sie hatte Ausschau gehalten nach Zigarettenkippen und nach menschlichem Kot. Und dabei war sie langsam immer höher gestiegen.
    Und mit einem Mal war ihr bewusst geworden, dass jemand in ihrer Nähe war. Dass jemand sie hörte, jemand sie sah, jede ihrer Bewegungen ganz genau verfolgte.
    Sie kannte das aus der Straßenbahn oder dem Zug. Es war ihr ein paarmal passiert, dass sie vertieft in ein Buch oder in ihre Studienunterlagen plötzlich das Gefühl bekommen hatte, jemand würde sie anstarren. Ihre Haut war unangenehm heiß geworden, und sie hätte wetten können, dass sie sich auch rötete. Doch nach Wetten war ihr in solchen Situationen nie zumute gewesen. Sie hatte ganz langsam den Kopf gehoben. Immer hatte sie Männer gesehen, den Blick auf sie gerichtet. Alle hatten weggesehen, als sie merkten, dass Marielle ihre Schamlosigkeit aufgefallen war. Alle bis auf einen. Der war ihr im Zugabteil gegenübergesessen. Es waren noch andere Leute im Abteil gewesen. Gestört hatte ihn das nicht. Er hatte ihr unverwandt auf die Brüste gestarrt. Sie hatte nur ein T-Shirt angehabt, kein Top drunter. Als sie die Augen senkte, bemerkte sie, dass sich sein Glied in der Hose bei ihrem Anblick versteift haben musste. Leicht gekrümmt zeichnete es sich unter dem Stoff ab.
    Sie hatte ihn mit einem Blick angesehen, der unmissverständlich ausdrücken sollte, dass sie ihm seinen Schwanz abreißen und einen Knoten reinmachen würde, wenn er sie noch länger anstarrte.
    Jetzt wurde sie wieder angestarrt.
    Sie hatte es bemerkt, ohne zu erkennen, woher der Blick kam.
    Aber auch wenn sie gesehen wurde, wollte sie nicht, dass nun noch das Handy zu hören war.
    Sie war jetzt fast ohne Angst.
    Kaltblütig analysierte sie die Situation.
    Ich muss herausfinden, von wo aus ich beobachtet werde, dachte sie. Und ich muss es so herausfinden, dass dieser Mensch nicht merkt, dass ich weiß, wo er ist.
    Es konnten ja einfach Scharnitzer Kinder sein, die hier, fünfzig Höhenmeter überm Tal, ein Spiel mit ihr trieben.
    Es konnte ein Mann sein, der hier herumstreunte und der sich im Schritt befummelte, während er jede ihrer Bewegungen beobachtete. Doch das kam ihr unwahrscheinlich vor – warum hätte jemand hier warten sollen auf das Wunschbild einer Frau, wenn eigentlich nie jemand hierherkam?
    Es konnte Ferdinand Senkhofer sein.
    Denn diese Vermutung deckte sich genau mit ihren Überlegungen, wohin sie an seiner Stelle geflüchtet wäre.
    Sie blieb ohne Angst. Auch jetzt.
    Es sind keine Kinder, dachte sie. Sie trat an einen Baum heran und hob ganz langsam den Kopf, so als würde sie sich diesen Baum genau

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