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Kalter Fels

Kalter Fels

Titel: Kalter Fels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Koenig
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Waldarbeiter hier gewesen. Oder auch Jäger. Vielleicht auch noch nie jemand. Oder aber er war hier gewesen, Ferdinand Senkhofer, der Steinschlagmörder.
    Marielle beschloss, gleich wieder umzukehren. Was sie da tat, ganz allein, war zu riskant.
    Doch sie kehrte nicht um. Sie verspürte Angst, durchaus. Aber ihr Willen und ihre Sturheit waren noch ein bisschen größer.
     
    Ferdinand duckte sich hinter den breiten, tief unten gegabelten Stamm und sah sie in etwa hundert Metern Entfernung höher steigen. Und wie er sie so sah, wurde er sich eines entscheidenden Fehlers bewusst: Von seinem Platz aus, den er nun schon viele Tage eingenommen hatte, war immer alles im Blick zu halten gewesen. Doch er hatte nicht bedacht, was wäre, wenn jemand heraufsteigen würde. Wie sollte er jetzt zu seiner Höhle kommen, ohne bemerkt zu werden?
    Sein Herz begann heftig zu klopfen. So heftig, dass er glaubte, die junge Frau müsste das selbst in hundert Metern Entfernung hören können. Er duckte sich noch tiefer, verbarg sich hinter dem Stamm, versuchte, so leise zu atmen, dass er es selbst nicht mehr hörte – aber er hörte alles: seinen Atem, sein Herz und die Schritte der Frau auf dem steinigen Boden.
    Wenn sie näher kommt, dachte er, wenn sie ganz nah herkommt, kann ich aufspringen und sie totmachen.
    Vorsichtig griff er nach einem nicht allzu großen Gesteinsbrocken, der im Schatten des Baumstammes lag.
    Ist nicht groß, dachte er. Aber dafür ist die Kante spitz und scharf. Wenn sie hier rüberkommt, hau ich ihr den Stein in die Stirn.
    Er sah, dass seine Hände zitterten.
    Er war aufgeregt. Viel aufgeregter als an dem Tag, an dem er Marianne erschlagen musste. Er spürte, dass die Gefahr heute viel bedrohlicher für ihn war. Die Gefahr, die von dieser jungen Frau ausging, die nicht einmal besonders groß war oder besonders kräftig aussah.
    Wenn sie zu mir herüberkommt, dachte er, mach ich sie tot.
    Und irgendwie hoffte er, dass sie in seine Richtung ging, dass sie ihn entdeckte. Er wollte wieder in seine Höhle zurück.
    Was will diese Frau hier?, dachte er. Was will sie von mir?
    Er musste gar nicht schauen, wo sie war, er hörte jeden Schritt von ihr. Das Knacken von am Boden liegenden Ästen. Das Geräusch, wenn winzige Steinchen unter ihren Schuhsohlen knirschten. Das Rutschen ihrer Schuhe auf abschüssigem Gelände. Das Brechen dürrer Zweige, wenn sie sich einen Durchschlupf durchs Unterholz bahnte.
    Komm näher, dachte Ferdinand. Komm näher!
    Er umklammerte den spitzen Stein.
    Komm hierher, dachte er. Komm!

15
     
    »Marielle hat angerufen«, sagte Schwarzenbacher. »Das Handy zeigt ihre Nummer an.«
    Pablo holte sein Telefon aus der Jackentasche und stellte die Tastensperre ab.
    »Bei mir auch«, sagte er. Und er spürte im selben Moment, dass es sich um etwas Wichtiges handeln musste, sonst hätte sie es nicht bei ihnen beiden probiert.
    Er drückte die Kurzwahltaste 1 und wartete. Es dauerte, bis er das Tuten in der Leitung hörte. Zweimal, dreimal, viermal, fünfmal. Dann schaltete sich die elektronische Stimme ein, die bedauerte, dass der Teilnehmer im Moment nicht erreichbar sei.
    »Wird sich schon wieder melden«, sagte Schwarzenbacher.
    Auch ihm musste klar sein, dass es einen wichtigen Grund gegeben haben musste, wenn sie versucht hatte, ihn und Pablo zur selben Zeit zu erreichen.
    »Wo ist sie eigentlich heute?«, fragte er Pablo.
    »Weiß nicht so genau. Vormittags an der SOWI, denke ich. Und danach bestimmt wieder bei einem ihrer Bergläufe.«
    »Berglaufen?« Schwarzenbacher sah ihn fragend an. »Ich will ja nicht indiskret sein, aber da muss dein Mädel doch mittlerweile Oberschenkel wie Litfaßsäulen haben …«
    »Arsch!«, sagte Pablo. Ihm war nicht nach Scherzen zumute. Erst dieser deprimierende Besuch bei der Frau des Staatsanwaltes, jetzt die Sorgen um Marielle.
    »Ich rede nicht von ihrem Arsch, sondern von ihren Oberschenkeln.«
    Pablo warf ihm einen bitterbösen Blick zu.
    »Ich bin beunruhigt«, sagte er dann. »Verstehst du das denn nicht?«
    Schwarzenbacher nickte. »Verstehe ich schon. Aber was soll sein? Wenn sie sich in den Bergen den Knöchel gebrochen hat, dann wird sie genauso gut wie uns auch die Polizei anrufen können. Und die hat dann längst die Bergrettung geschickt. Aber wahrscheinlich ist überhaupt nichts passiert, und wir machen uns ganz unnötig Sorgen.«
    Pablo probierte es wieder. Wieder tutete es einige Male. Doch diesmal kam keine elektronische Stimme. Es war ihm

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