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Kalter Fels

Kalter Fels

Titel: Kalter Fels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Koenig
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das erste und einzige Mädchen gewesen war, das er jemals an dem flauschigen Ding zwischen den Beinen angefasst hatte. Hedwig hatte das nie mögen. Marianne schon.
    Sie stellte Geschirr auf den Tisch und füllte Kekse in eine Schale.
    »Zieh doch den Anorak aus«, sagte sie. »Bis der Kaffee durch ist, kann ich dir meine Wohnung zeigen. Wenn du willst.«
    Ferdinand war es egal. Also folgte er ihr durch die Räume. Sie zeigte ihm ihr Wohnzimmer, das mit düsteren Möbeln bestückt war. Die Couch war durchgesessen, das sah man gleich. Aber auch das war Ferdinand egal. Er hatte nur Augen für den Fernseher. Ein großes Teil mit flachem Bildschirm.
    »Hmmm«, machte er. »Fernsehen!«
    »Hab ich mir geleistet. Was habe ich sonst schon noch vom Leben. Seit mein Mann gestorben ist, ist fernsehen die einzige Unterhaltung. Und der Sepperl halt.«
     
    Sie maß Ferdinand mit ihren Blicken und erinnerte sich für Augenblicke der Kindertage. Nur Momentaufnahmen, für Bruchteile von Sekunden: ein Stadel voll Heu, eine ganze Bande von Kindern, zehn, elf. Sie hatte sich mit Ferdl versteckt, in einer Höhle im Heu, und ihn gefragt: »Solln mir uns nackig machen?« Er hatte nichts getan, aber sie hatte sich das Höschen ausgezogen und ihn gefragt: »Magst mal hinlangen?«
    »Soll ich den Fernseher einschalten? Magst etwas anschauen? Wenn du willst, können wir unsern Kaffee ja auch hier im Wohnzimmer trinken und dabei Fernsehen schauen.«
    »Weiß nicht«, sagte Ferdinand.
    Und Marianne dachte bei sich, dass er noch genauso war wie damals, vor über vierzig Jahren. Als sie ihm ihre Muschi hingestreckt hatte, waren das auch seine Worte gewesen: »Weiß nicht.« Aber immerhin, er hatte dann hingelangt, zaghaft und vorsichtig. Erst nur außen, aber dann hatte er seinen Zeigefinger ein kleines Stück weit in sie hineingesteckt. Sie hatte es aufregend gefunden, aber nicht sonderlich schön.
    »Was schleppst du eigentlich in der Tragetüte mit dir herum?«, fragte sie. »Muss ja was Wertvolles drin sein, du lässt sie ja keinen Moment lang aus.«
    »Nichts«, sagte Ferdinand.
    Marianne lachte. »Für nichts sieht sie aber rechtschaffen schwer aus. Aber ist ja auch egal. Aus dir ist noch nie jemand richtig schlau geworden …«
    Sie führte ihn wieder zum Flur, zeigte ihm das Badezimmer. WC, Waschbecken, Badewanne. Alles in Hellgrau gefliest.
    »Baden tue ich gerne«, sagte Ferdinand, als er die Wanne sah.
    Sie schaute ihn an. Die langen Haare standen ihm nicht schlecht. Irgendwie sah er verwegen damit aus. Und der Bart – nun ja, so viel Verwegenheit hätte es dann auch wieder nicht gebraucht. Er hatte etwas von einem Wegelagerer oder Landstreicher an sich, sein Gesicht war gegerbt vom Wetter – muss wohl viel draußen sein, in Australien, dachte Marianne. Und jetzt steht er bei mir im Bad und täte wahrscheinlich am liebsten in die Wanne steigen. Verrückter Ferdinand.
    »Ja«, sagte sie, »und dann hab ich am Ende vom Flur noch ein Schlafzimmer. Aber das muss ich dir ja jetzt nicht zeigen, oder? Da bräuchte es erst noch ein wenig Aufräumen. Und außerdem: Der Kaffee ist bestimmt durch mittlerweile. Komm!«
    * * *
     
    Als Hedwig aus Seefeld zurückkam – sie war einiger Erledigungen wegen mit dem Bus hin- und wieder heimgefahren –, fand sie das Haus leer vor. Ferdinand war nicht da.
    Im ersten Moment dachte sie, dass er vielleicht aufgebrochen wäre, um den Aufstieg zur Hütte zu versuchen. Ihm war ja wirklich alles zuzutrauen. Sie öffnete den Kühlschrank und die Tür vom Vorratsschrank; soweit sie das auf Anhieb überblicken konnte, fehlte nichts.
    Er ist zwar ein Idiot, dachte sie, aber so blöd ist er wiederum nicht, dass er sich nicht einen Proviant mitgenommen hätte, eine Hartwurst, ein Stück Käse, ein bisserl Brot und, vor allem, was zu trinken. Cola-Mix hätte er sich mitgenommen, dachte sie. Auf das war er ganz scharf, seit er sich bei ihr hier versteckt hielt. Doch die drei Eineinhalbliterflaschen standen noch da, wo sie von ihr hingestellt worden waren.
    Dann wusste sie, wo er war.
    Und was er vorhatte!
    Am helllichten Tag!
    Die Grasberger totmachen. Die Marianne, das blöde Weib, das immer überall die Nase reinhalten muss.
    Er macht die Marianne tot, dachte sie.
    Er macht sie tot.
    Sie empfand kein Mitgefühl. Sie spürte nur die Sorge, dass die ganze Welt über ihr zusammenbrechen könnte.
    Sie zog den Mantel aus, ging auf die Toilette, blieb noch lange nachdenklich auf der Schüssel sitzen, nachdem sie

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