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Kalter Fels

Kalter Fels

Titel: Kalter Fels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Koenig
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genauso verstockt und undurchschaubar wie damals. Weißt du, was ich glaub? Ich glaub manchmal, dass du gar nicht in Australien warst. Dass das nur die Hedwig herumerzählt hat. Vielleicht warst ja auch nur in einem Heim …«
    Ferdinand stellte die Fußmassage abrupt ein. Und Marianne zerbrach den Keks, den sie gerade zum Mund führen wollte, in der Hand; die Hälfte davon fiel zu Boden.
    »Wart, Ferdl«, sagte sie. Sie zog die Füße von ihm weg und beugte sich hinunter, um alles zusammenzuklauben.
    Darauf hatte Ferdinand gewartet, ohne zu wissen, worauf genau.
    Aber nun begriff er es intuitiv.
    Er riss die Tüte mit enormem Schwung hoch, das Gewicht des Steins machte sie zur Schleuder, und mit Wucht zog er sie, selbst noch sitzend dabei, nach vorn.
    Marianne, die gerade noch die Keksbröckchen aufgenommen hatte, war im Begriff, sich wieder aufzurichten. Sie musste den Luftzug gespürt haben oder den Schatten, der über ihr angerast kam. Jedenfalls machte sie eine winzige Reflexbewegung Richtung Tischkante, und Ferdinand ging in seiner Bewegung in diese Richtung mit.
    Seine Waffe traf hart und fürchterlich laut den äußersten Tischrand, die Tüte riss, und der herausschießende Stein streifte Marianne nur oberhalb des Haaransatzes.
    Gleichwohl war die Wucht noch groß genug, dass sie aus der gebückten Haltung heraus zur Seite stürzte und auf den Knien und den Händen landete.
    Sie schrie. Schrie mehr vor Schrecken als vor Schmerz. Und dass ihr Blut vom Kopf tropfte und ihr in die Augen und übers Gesicht lief, machte den Schrecken nicht geringer.
    Ferdinand war aufgesprungen, um den Stein an sich zu bringen, der polternd über den Küchenboden kollerte. Doch in seiner panischen Hektik stolperte er über Marianne, stürzte, fiel gegen den Stuhl, auf dem sie gerade noch gesessen hatte. Die Lehne des Stuhls ging zu Bruch, aber auch in Ferdinand schien etwas zu Bruch gegangen zu sein: Er spürte einen unglaublichen Schmerz in seinem Brustkorb, der sich noch verschlimmerte, als er der Länge nach auf dem Boden aufschlug. Er sah den Stein, einen Meter oder eineinhalb entfernt, aber erst einmal war das eine unüberbrückbare Entfernung. Ferdinand bekam keine Luft, befürchtete zu ersticken, und der Schmerz war so schlimm, dass er glaubte, nicht mehr aufstehen zu können.
    Und dann war da ja noch Marianne.
    Er konnte sie nicht sehen. Sie war irgendwo hinter ihm. Doch er konnte sie stöhnen hören, Und dass sie über den Boden zu kriechen schien.
    Ich muss auf… muss aufstehen, dachte er. Sie fällt mir in den Rücken sonst. Er wälzte sich herum, ein Stuhl fiel auf ihn, er schob ihn weg, lag jetzt auf dem Rücken, sah jetzt Marianne, sah, wie sie sich neben dem Spülbecken hochzog.
    Er versuchte, auf die Füße zu kommen, aber jede größere Bewegung versetzte ihm einen stechenden Schmerz in die Brust, direkt unter seinem Herz.
    Jetzt stand Marianne fast aufrecht. Sie stützte sich auf die Arbeitsplatte ihrer Küchenzeile, die Beine knickten unter ihr weg, aber sie konnte sich halten. Er sah sie Schubladen aufreißen – und er erkannte, was sie vorhatte. Er winkelte die Beine an und schob sich mit den Füßen nach hinten, es war so schwer und so schmerzhaft, aber er kam seinem Stein näher. Dem Stein, den er vor ein paar Tagen aus dem Flussbett der Isar geholt hatte. Mitten in der Nacht, damit niemand ihn sah. Ein Stein, der rund und poliert war, aber dennoch nicht die Form einer Kugel angenommen hatte, sondern eher einem kleinen Diskus glich. Schwer und gut und griffig war er ihm in der Hand gelegen. Und da hatte Ferdinand gewusst, dass dieser Stein der richtige sein würde.
    Er streckte den Arm nach hinten, versuchte, an den Stein heranzukommen, aber er war noch immer eine halbe Armlänge entfernt. Und da sah er, wie Marianne sich schwerfällig umdrehte, eine Hand auf die Anrichte gestützt, in der anderen ein großes Messer, ein Fleischmesser mit langer Klinge, und die blitzte silbern, und er wusste, sie würde ihn töten, würde ihm das Messer in den Bauch oder in die Brust rammen oder ihm damit den Hals durchschneiden, wenn nicht … wenn nicht … wenn …
    Mit einer schier übermenschlichen Kraftanstrengung gelang es ihm, den verbleibenden halben Meter nach hinten zu rutschen. Aber da sah er auch schon Marianne auf sich zustürzen. Sie fiel mehr, als dass sie sich gezielt auf ihn warf. Und doch hatte er keine Chance, ihrem Messer zu entgehen. Sollte sie dennoch gezielt haben, dann hatte sie es auf seinen

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